Sechs Frauen, sieben Flöten
CD-KRITK / BLOCKFLÖTENMUSIK AM ENGLISCHEN HOF
12/10/10 Sechs Frauen hatte Heinrich VIII., aber sage und schreibe sieben Blockflöten. Erstere nacheinander, letztere zur selben Zeit. Heinrich VIII. übte sich, wie eine Chronik berichtet, täglich im Spiel der Blockflöte - und das soll er bis ins Alter so gehalten haben.
Von Reinhard Kriechbaum
Denn Consort-Musik war groß geschrieben in dieser Epoche. Einzig für den englischen Hof im 16. Jahrhundert ist verbürgt, dass Blockflötenspieler dezidiert nur für dieses Instrument, mithin für ein Spezialensemble angestellt waren. Sonst war ja eher der Brauch, dass Bläser auch die Blockflöte bedienten.
Nun möchte man also meinen, dass man in London bloß die richtigen Notenschränke zu öffnen brauchte, um die Blockflötenmusik der Zeit und speziell am Hofe bei der Hand zu haben. Dem ist leider nicht so. Zwar sind die Namen der Blockflötenspieler am englischen Hof über die Jahrzehnte genau dokumentiert (die venezianische Familie Bassano spielte eine entscheidende Rolle). Was sie aber musiziert haben, ist heute Gegenstand der Forschung. Leider sind auch keine Instrumente unmittelbar vom Hof der Tudor erhalten - was freilich weniger wundert, so emsig, wie auf ihnen gespielt wurde.
Was also tönte aus den hölzernen Rohren der über Generationen hier wirkenden Bassano-Crew? Der belgische Blockflötist Peter van Heyghen, der gemeinsam mit dem britischen Flötenbauer Adrian Brown sich speziell dieser Frage angenommen hat, geht davon aus, dass die Vokalmusik der Niederländer den Löwenanteil am Repertoire ausmachte. Allemanden, Pavanen oder Galliarden waren, so die Ansicht von Fachleuten, eher die Würze. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts sei dann natürlich Instrumentalmusik aus Italien dazu gekommen.
Und die Flöten? Zuerst war Süddeutschland der wichtigste Raum, von wo emsig exportiert wurde, später verlagerte sich (auch) die Blockflöten-Herstellung eher nach Oberitalien. Und schließlich gab es sicherlich auch in England tüchtige Instrumentenbauer.
"Mezzaluna", ein Ensemble um Peter van Heyghen, ist genau deshalb gegründet worden, um der Forschung Heyghens in Sachen Renaissance-Consortmusik den praktischen Unter- bzw. Überbau zu geben: eine gar wundersam sauber intonierende, natürlich stilistisch aufeinander eingeschworene Gruppe. Zeitlich reicht der hier eingespielte, hypothetische Repertoire-Bogen von Heinrich Isaac bis Alfonso Ferrabosco II., er umspannt also tatsächlich das gesamte Jahrhundert. Eines der prachtvollsten Stücke ist Orlando di Lassos sechsstimmiges "Lauda Jerusalem". Und um die Ehre der englischen Komponisten zu retten, ist auch eine fünfstimmige Fantasia von William Byrd mit aufgenommen. Wie im vorbildlich genauen und informativen Booklet-Text nachzulesen ist, waren die meisten Consort-Stücke englischer Komponisten nicht für Blockflöten, sondern genuin für Gambengruppen gedacht.
Ein Glücksfall gewiss, das man mit Nachbauten zweier Renaissance-Flötensätze aus dem Kunsthistorischen Museum Wien und eines Satzes von Instrumenten, die mit der Bassano-Familie in Verbindung gebracht werden, günstigste klangliche Voraussetzungen hat. So ist diese Jahrhundert-Wanderung ein Kompendium von lauter Referenz-Aufnahmen geworden, einfallsreich, aber kontrolliert in den Diminutionen, gediegen in der Artikulation - und so wunderbar auf einem gemeinsamen Atem, dass man nur staunen kann ob der harmonischen Sauberkeit.