Weiß, makellos und splitternackt

CD-KRITIK / O GENTE BRUNETTE

08/09/10 Heute, Mittwoch (8.9.), feiert die Kirche das Fest Maria Geburt. Da sind nach volkstümlichen Reim "die Schwalben furt". Also vielleicht besser daheim bleiben und in diese CD mit originellen Marien-Gesängen aus der Renaissance hinein hören.

Von Reinhard Kriechbaum

Wofür Stücke wie diese genau komponiert worden sind, wissen wir nicht. Am besten stellen wir uns so etwas wie ein Jahrestreffen der Sänger vor, an einer der Kathedralen oder in einem Kloster in der Picardie. Da sie ja alle im Kirchendienst waren, war ein gesungenes Gebet an die Gottesmutter logische Verpflichtung. Im Fall der Motette "Omnium bonorum pleta" von Loyset Compère (1445-1518) sind die Verse jeweils zwei Sängern in unterschiedlichen Stimmlagen anvertraut. Dann aber - es sind schon sieben der mit zehn Minuten ausufernden Komposition vorbei - wird die Musik plötzlich kompakt vierstimmig, denn da legen die Sänger für sich selbst ein gutes Wort ein. Für Guillaume Dufay als ersten. Er wird als "luna totius musicae", als "Mond aller Musik" gelobt. Dann bringen sich die aktiven Sänger ein. Sogar der blutjunge Josquin Desprez ist den älteren positiv aufgefallen und wird  eingeschlossen ins gesungene Gebet.

So ein Stück ist ein gefundenes Fressen für Musikhistoriker. Das italienisch Ensemble "Odhecaton" (der Name ist einem venezianischen Notendruck entlehnt) und sein Leiter Paolo Da Col haben Musik von fünf Komponisten-Generationen aus der Region Picardie zusammengestellt. Wer kennt schon Namen wie Mathieu Sohier, Thomas Champion (genannt Mithou) oder Antoine Bruhier? Eher bekannt Loyset Compère und Jean Mouton. Aber bedeutsam war die Gegend vor allem, weil hier vorzügliche Sängerschulen bestanden. So war die Picardie eine Region, aus der in der frankoflämischen Epoche Europas Kirchen mit bestausgebildeten Musikern versorgt wurden.

Ein Fundstück ist die "Missa O gente brunette" des Nicolas de Marle, die wegen der raffiniert wechselnden polyphonen und homophonen Wendungen (zugunsten der Textverständlichkeit) stark an den Zeitgenossen Palestrina denken lässt. Die Parodie-Vorlage für diese Messe gibt der CD, die sonst ausschließlich geistliche Werke enthält, den Titel: "O gente brunette": Der Liebhaber wünscht sich die Braunhaarige "toute nu en la couchette" und würde die Unbekleidete gewiss nicht von der Bettkante stoßen. Sonst aber alles ganz seriös - lauter Motetten für die Gottesmutter, die im Gegensatz zur erwähnten jungen Dame freilich auch "blanche et nette", als weiß und makellos betrachtet wird.

"O gente brunette". Sänger-Komponisten der Renaissance aus der Picardie. Ensemble "Odhecaton", Ltg. Paolo Da Col. Ramée, (RAM 0902), www.ramee.org