Friedvolle Kampfansage

HÖRVERGNÜGEN / GRAINGER

22/10/21 Fällt Ihnen spontan ein australischer klassischer Komponist ein? Vielleicht Percy Grainger? 2021 jährt sich sein Tod zum sechzigsten Mal. Anlass genug, ihm eine Würdigung zukommen zu lassen und eine Hörempfehlung für sein vielseitiges Schaffen auszusprechen.

Von Andreas Vogl

Der 1882 in Brighton nähe Melbourne geborene Sohn englischer Einwanderer kam aus schwierigen familiären Verhältnissen. Der Vater war Alkoholiker. Die herrschsüchtige Mutter unterrichtete ihren Sohn selbst, erkannte aber sein Talent und schickte ihn nach Europa zur Pianisten-Ausbildung, etwa zu niemand Geringerem als Ferruccio Busoni. Nach Jahren als Konzertpianist landete Grainger schlussendlich in den USA, wo er in Chicago Musik dozierte und an der New York University auch Dekan wurde. Er nahm dort die neue Musikform des Jazz in den Lehrplan auf und engagierte Duke Ellington als Gastprofessor. Im Ersten Weltkrieg diente er in der US-Army als Saxophonist. Darauf zurück gehen wohl die vielen Stücke für Military Band und Männerchöre (etwa Danny Deever). 1924 konvertierte er zum Vegetarier. Und er galt als Sado-Masochist.

Nach dem zweiten Weltkrieg zählt er übrigens zu den Mit-Erfindern des Vorläufers des Synthesizers. Grainger war immer ein experimentierfreudiger und sehr offener Komponist, der sich zum Beispiel der Zweiten Wiener Schule nicht verschloss, stilistisch auf Barock und Renaissance zurückgriff, sich früh bereits mit der sogenannten „Freien Musik“ ohne Tonleiter und Rhythmus beschäftigte, das Theremin eben so einsetzte, wie oft außergewöhnliches Schlagwerk.

Seine Vorliebe galt zudem der kompositorischen Aufarbeitung traditioneller Lieder aus England, Schottland, Faröer und Dänemark. In seinem ziemlich großen Oeuvre finden sich aber keine Opern oder Oratorien, keine große Sinfonie und auch keine klassischen Konzerte... Kurzum, ein so illustrer wie spannender Lebenslauf.

John Eliot Gardiner gilt als einer der prominentesten Verfechter seiner Musik. Über Gardiner bin ich auch vor circa zwanzig Jahren bereits auf den Komponisten gestoßen. Damals kaufte ich mir die CD-Aufnahme von Gustav Holst's Orchestersuite The Planets mit ihm und dem Philharmonia Orchestra (Deutsche Grammophon) . Und auf dieser Aufnahme ist eines der wichtigsten Orchesterstücke Graingers beigefügt: The Warriors von 1918, untertitelt mit Music to an imaginary ballet

Es ist eines jener Werke, die einen als Hörer ab dem ersten Takt packen und wie einen Sog mitziehen. Ähnlich wie Strauss’ Heldenleben oder Elgars In the South führt das Orchester ein mitreißendes Hauptthema. Überhaupt ist Grainger ein brillanter Instrumentierer: Kaskaden von gleich drei Orchester-Klavieren, unzählige, gamelan-artige Schlagwerkklänge, fanfarenhafte und dann wieder jazzige Bläserabschnitte, saftige Streicherakkorde – das alles fügt sich zu einer außergewöhnlichen Orchestercollage, die wohl gleichermaßen beim Spielen und Hören Spass macht. Was hat es mit dem Titel auf sich? „Warrior“ ist im Englischen der „Krieger“. Ethymologisch zumindest. Aber eigentlich birgt das Wort etwas anderes: Es wird nicht nur im kriegerischen Sinn genutzt. Es beschreibt auch eine Person, deren Berufung es ist, zu kämpfen. So sind die eco-warriors militante Umweltschützer, ein culture-warrior kämpft für den Erhalt von Kultur, durchaus im reaktionären Sinn. Das Stück, so empfinde ich es jedenfalls wenn man Grainger kennt, zeigt seinen bereits in jungen Jahren außergewöhnlichen Status, sich nicht an Konventionen, zum Beispiel kompositorisch, zu halten und eher neue Wege zu gehen. Wie passend und spannend ist das doch um 1920! 

Grainger war ein Verfechter der nordischen Musik (mit Grieg verband ihn eine Freundschaft!) und er ließ sogar Kritik an der zu großen Bedeutung Mozarts und Beethovens anklingen. Ziemlich aktuell angesichts der Debatte um Mozart als Rassisten. Und da kommen wir zum Knackpunkt: Fraglich, aber wie ich hoffe nicht wirklich bedenklich in Graingers Biographie sind die oftmaligen Vorwürfe von Xenophobie und sogar Antisemitismus in seinen Schriften. Diesen wäre angesichts seiner Freundschaft mit George Gershwin und Duke Ellington, sowie vieler Vertonungen von Rudyard Kipling, etwa seinem Dschungelbuch, näher nachzugehen. In The Warriors tanzen übrigens laut der Werkbeschreibung des Komponisten neben Wikingern und Amazonen auch Zulus, Fidschianer und „rothäutige“ Indianer im finalen Tanz „in brotherly fellowship ... all hardships forgot“. Ist das eine Völkerverbrüderung in Musik und Tanz? Musikethnologen raufen sich die Haare - eine Beschäftigung damit lohnt damit aber in vielerlei Hinsicht.

Chandos widmet Percy Grainger (1882-1961) eine 21 CDs umfassende Box mit dem Titel „The complete Grainger Edition“. Es macht Freude, sich mit seinen Werken auseinanderzusetzen und vielleicht fühlt sich ein Musikveranstalter einmal mutig genug, The Warriors in Relation mit Elgar, Debussy, Vaughan-Williams oder Strawinsky, Berio und Messiaen zu setzen!
The Percy Grainger Edition. CHANDOS 20196/21CDs.
Zusatz-Tipps:
- Historisches einstündiges Porträt mit P. Grainger als Interview Partner auf YouTube
- Grainger spielt das Klavierkonzert von E. Grieg. L. Stokowski dirigiert. Aufnahme 1945, Hollywood Bowl. MACD4089
Bilder: Stills aus dem YouTube-Video - YouTube