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Die Geige ist ein Chamäleon

CD-KRITIK / VIOLINE / SKORDATUR

07/01/21 Skordatur – so heißt das Umstimmen einzelner Violinsaiten. Wo sucht man am besten nach Stücken, die danach verklangen? Die Schlossbibliothek von Kremsier (Kroměříž) in Südmähren ist eine gute Adresse, und das Salzburger Diözesanarchiv ebenso. An beiden Orten wirkte Heinrich Ignaz Franz Biber.

Von Reinhard Kriechbaum

Biber schuf mit seinen Rosenkranzsonaten Musterwerke für die Skordatur. Die „viersaitige Leier auf fünfzehn Arten verstimmt“ ist eine der legendären Formulierungen dazu im Vorwort zu der Sammlung – was nicht zuletzt aussagekräftig dahingehend ist, wie viele Möglichkeiten sich auftun beim Saitenverstimmen.

Wenn Komponisten an den Wirbeln drehen ließen und so die Ordnung der Quinten durcheinander brachten, dann hatte das zwei mögliche Gründe: Durch die Skordatur wurden Doppelgriffe möglich, die sonst auf der Geige unerreichbar waren. Stärkere oder schwächere Spannung veränderten aber auch ganz wesentlich die Klangfarbe, und dieser Aspekt schien für Mayumi Hirasaki bei der Werkauswahl der wichtigere. Sonst hätte sie wohl nicht dem Chamäleon auf dem CD-Cover zugestimmt...

Was jedenfalls viele Violinkompositionen in Skordatur-Technik auszeichnet: Ihre Schöpfer spekulierten auch mit dem Effekt. Das war wohl schon so, als Biagio Marini 1629 jene kurze Sonata Seconda d'inventione Per il Violino veröffentlichte, die man nach gegenwärtigem Wissensstand als das älteste derartige Werk in der Musikgeschichte ansieht. Da muss die oberste Saite gleich um eine große Terz hinunter- und auch wieder hinaufgeschraubt werden. Nicht in einer Satzpause wohlgemerkt, sondern während das Continuo zu kleinen Überleitungen ausholt. Nicht wenig Treffsicherheit beim Live-Stimmen wird also vorausgesetzt.

Marinis Stück ist zeitlich ein früher Ausreißer in der Werkauswahl von Mayumi Hirasaki. Die anderen Stücke stammen aus dem guten halben Jahrhundert zwischen 1681 (Heinrich Ignaz Franz Biber) und 1734 (Giuseppe Tartini). Die über zehnminütige Pastorale in A-Dur des Letzteren ist ein höchst wirkungsvolles Stück, das aufs Anschaulichste nachfühlen lässt, wie ein Meister-Geiger mit dem Effekt der Skordatur kalkuliert. Den Mittelteil, ein bärbeißiges Allegro, legt Mayumi Hirasaki so folkloristisch an, dass man an Musikanten in der Dorfschenke wie auf Bildern niederländischen Meisters denken könnte. Darauf folgt dann ein nicht minder einprägsamer Teil, der mit den üblichen Dudelsack-Quinten (und einigen chromatischen Überraschungen) aufwartet.

Ein Salzburger Fundstück auf dieser CD ist eine Solopartita von Johann Joseph Vilsmayr, einem knapp eine Generation jüngeren Geiger-Kollegen Bibers. Da schwingt die Biber-Schule mit, wie auch in einem in Kremsier anonym überlieferten Balletto. Wer weiß, ob dort nicht Biber noch seine flinken Finger im Spiel hatte... Ziemlich originelle Tanzsätze sind das, und die Imagination von Diskant- und Bassmelodien wirkt höchst plastisch. Die abschließende Gigue hat nicht nur eine „Variatio“, sondern es wird auch noch ein „Double“ draufgesetzt. Technische Herausforderungen, die Mayumi Hirasaki unaufdringlich serviert – wie sie überhaupt sehr nachhaltig klangliche Delikatesse verbreitet, ohne damit vordergründig zu protzen.

Die Farbänderungen durch die Skordatur sind ja etwas sehr Feines. Dem entsprach man in Sonaten von Carlo Ambrogio Lonati und Pietro Castrucci mit einer höchst gediegenen Wahl auch der Continuoinstrumente. Es macht einen Unterschied, ob beispielsweise in Lonatis Stück die beiden oberen Saiten je einen Ganzton herabgestimmt werden (da kommen Gambe sowie Theorbe bzw. Barockgitarre zum Einsatz). Bei Castrucci hingegen werden die unteren beiden Saiten hinaufgezogen. Der dadurch wesentlich leuchtkräftigere Geigenklang verträgt einen Violone als Streichbass.

All das ist sehr gut dokumentiert. Für die jeweiligen Stücke werden die Instrumente und vor allem auch die jeweilige Skordatur im Booklet mustergültig ausgewiesen: So kann man gut nachlauschen, wie die Klangbilder durch das Umstimmen modifiziert werden. Diese Möglichkeit hat man als Nicht-Barockgeiger nicht alle Tage.

L'Arte della Scordatura. Werke mit Violine von Biber bis Tartini. Mayumi Hirasaki (Violine), Michael Freimuth (Laute, Theorbe, Barockgitarre), Christoph Urbanetz (Viola da Gamba), Lorenzo Ghielmi (Cembalo), Johannes Loescher (Violone). Passacaille

 

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