Mörder und Ermordete
CD-KRITIK / REPICCO
06/04/18 Schafft Musik friedliche Menschen? Bei manchen scheint die die sozialisierende Kraft der Töne nicht viel ausgerichtet zu haben. Bellerofonte Castaldi jedenfalls war einer, mit dem nicht gut Kirschen essen war.
Von Reinhard Kriechbaum
Nachdem sein Bruder Opfer eines Mordes geworden war, versuchte er's mit Vendetta. Castaldi verfasste auch satirische Gedichte, was ihm nicht bekam: Ein Feind verwundete ihn, fortan humpelte der Dichter-Musiker durchs Leben. Für einen Theorbisten nicht so furchtbar schlimm.
Warum wir die Geschichte erzählen? Das Duo „Repicco“ – Kinga Ujszàszi (Violine) und Jadran Duncumb (Theorbe) – ist auf die mehr als originelle Idee gekommen, Musik zusammenzutragen von Komponisten, die eines unnatürlichen Todes gestorben sind oder anderen zu einem solchen verholfen haben. Dabei kommen sie ganz ohne Gesualdo aus, den Vorzeigemörder an der Schwelle von Renaissance zum Barock. Die Zeiten waren ja turbulent genug, und nicht immer waren Frauengeschichten der Anlass für die vorzeitige Übersiedlung ins Jenseits: Giovanni Pandolfi Mealli hätte vielleicht besser in Dienst des österreichischen Erzherzogs Ferdinand Karl in Innsbruck bleiben sollen. An seiner südlichsten Arbeitsstätte, in Sizilien, kam er mit einem römischen Sänger ob unterschiedlicher politischer Ansichten über Kreuz, was der arme Vokalist mit dem Leben bezahlte. Immerhin: Mealli hat dem Verblichenen posthum eine Violinsonate gewidmet.
Ein wüster Bursche war Alessandro Stradella, der keinem Handel der Kategorie „Sex and Crime“ aus dem Weg ging. In Venedig ist er einem Mordanschlag knapp entronnen, in Genua hat man ihn dann in einen Hinterhalt gelockt und ermordet. Seine musikgeschichtliche Nachwirkung – er war ein Wegbereiter für Corelli in Sachen Concerto grosso – war damit noch nicht erschöpft: Friedrich von Flotow, César Franck und zuletzt Salvatore Sciarrioo haben seine Lebensgeschichte zu Opern gemacht.
Wir fragen jetzt lieber nicht, ob Schurken und Opfer anders komponiert haben als unauffällige, tugendsame Bürger. Ignazio Albertini, der aus unbekannten Gründen 1785 in Wien die Geige vorzeitig abgegeben hat, hat weder zahmer noch aufregender komponiert als seine Kollegen Biber und Schmelzer, deren Wege er in Kremsier kreuzte. Stücken der beiden Berühmten kann man Albertinis Sonata 1 ohne weiteres zur Seite stellen. Kinga Ujszàszi stürzt nicht nur mit einer Virtuosität, die sich auf dieser CD oftmals manifestiert, ins Praeludium dieses turbulenten Stücks. Giovanni Pandolfi Meallis Sonaten fallen in den gleichen Stilbereich und werden nicht weniger draufgängerisch nachgezeichnet von dem dem jungen ungarischen Geiger und dem norwegischen Kollegen an der Theorbe, der auch nicht wenig Charisma einbringt. Stilistisch sind beide absolut sattelfest. Mörder und Ermordete reichten den beiden dann übrigens doch nicht: Biaggio Marini hat sich weder etwas zuschulden kommen lassen, noch ist er gewaltsam zu Tode gekommen.Aber in dessen Capriccio „per sonare il violino von tre corde a modo di lira“ (was für ein Prototyp mag das gewesen sein?) päppelt das Duo ein wenig auf und Kinga Ujszàszi entfacht ein ansehnlich loderndes Arpeggio-Feuer. Wenn bloß kein eifersüchtelnder Geigen-Kollege Mordgelüste bekommt...