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Suche nach dem verlorenen Klang

CD-KRITIK / GREGORIANIK / ORDO VIRTUTUM

10/07/18 Aufhorchen lässt nicht nur das erste der 23 Stücke: Das Alleluia aus der Messe für Märtyrer (aus einem Graduale aus dem ehemaligen Zisterzienserkloster Maulbronn) überrascht auf kleinem Raum mit Modulationen, mit Leittönen jenseits der Kirchentonarten.

Von Reinhard Kriechbaum

Es handelt sich auf dieser CD durchwegs um Spätblüten der Gregorianik, Der Tonumfang geht in vielen dieser grundsätzlich natürlich immer noch Gregorianischen Gesänge deutlich über jenen des frühmittelalterlichen Kernrepertoires hinaus. Spontan fallen einem Hildegard von Bingen und vor allem auch Kompositionen des Hermann Contractus (dem Lahmen) ein.

Von zwei Seiten her macht sich das Ensemble Ordo Virtutum auf die „Suche nach verlorenen Klang“. Da ist einmal die Überlieferung der Noten selbst. Das Pergament der „papistischen Bücher“ wurde durch die Reformation, nach Auflösung vieler katholischer Klöster vielerorts, auf seinen Leder-Wert zurückgeschraubt. Handschriften wurden in ihre Seiten zerlegt und das Material beispielsweise für Bucheinbände zweckentfremdet. Die Barbarei unter dem Signum des neuen rechten Glaubens bedeutete für diese Einzelblätter immerhin: eine gewisse Sicherheit in Buchregalen, und das über Jahrhunderte. So selten sind Bibliotheksfunde ja nicht, gerade wenn sich heutige Restauratoren über die Bucheinbände her machen.

Für diese CD wurden also wiederentdeckte Einzelblätter ehemaligen Klöstern in Baden-Württemberg zugeordnet – Hirsau, Maulbronn, Bebenhausen, Salem und Alpirsbach. Damit ist man dem „verlorenen Klang“ dort schon ein gutes Stück näher. Der zweite Weg für das Männerensemble um den Musikwissenschafter und Musiker Johannes Morent ist die Aufnahme der aufgefundenen Musik gerade in jenen ehemaligen Klosterkirchen oder -kapellen wo sie mutmaßlich auch wirklich gesungen worden sind. Das ist also die auratische Komponente des so wissenschaftlichen wie sinnlichen Unternehmens.

Die meisten der hier vorgestellten Stücke aus Handschriften aus dem 15. Jahrhundert, sie sind teils notiert in Hufnagelnoten oder in römischer Choralnotation auf vier Linien. Nur ein Antiphonale aus Hirsau ist deutlich früher, Anfang des 12. Jahrhunderts, zu datieren.

Jedenfalls durchwegs späte Niederschriften bzw. Überlieferungen von Choralstücken. Johannes Morent und die weiteren fünf Männer von „Ordo Virtutum“ gehen davon aus, dass die Lebendigkeit der Neumennotation sehr lange weitergewirkt hat. Lebendig und rasch singen sie viele Notengruppen (eben so, wie es nahe läge, wären die Stücke denn in Neumen geschrieben worden). Als Spezialensemble mit viel Erfahrung auch mit dem Repertoire des Spätmittelalters werden aber die weit schweifenden Melodiebögen ebenfalls einprägsam nachgezeichnet.

Die Homogenität des Ensembles ist ganz wunderbar, und gerade die Responsorien, über große Teile solistisch ausgeführt, bestechen ob ihrer Lebendigkeit. Die Sammlung von Fragmenten ist im Ganzen ein eindrucksvolles Tondokument. Es lässt ahnen, mit wie viel Verve und virtuosem Anspruch man im 15. Jahrhundert in der Kirchenmusik die einstimmige Musik gegenüber der sich längst durchsetzenden Mehrstimmigkeit verteidigt hat.

Fragmentum. Auf der Suche nach dem verlorenen Klang. Musikalisch-liturgische Fragmente aus den südwestdeutschen Klöstern Maulbronn, Bebenhausen, Salem, Alpirsbach und Hirsau. Ordo Virtutum, Ltg. Stefan Johannes Morent. Cornetto (10049) (P) 2017 (Vertrieb Helikon Harmonia Mundi)

 

 

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