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Lustvolle Katechese im Tanzschritt

CD-KRITIK / LUTHER TANZT

31/10/16 Die Augen möchte man sich reiben, wirkt doch „Luther tanzt“ als Motto schon wie ein Widerspruch in sich selbst. Und dann noch Titel wie: „O Welt, ich muss dich lassen“, „Mit Fried und Freud ich fahr dahin“ oder „Mein G'müt ist mir verwirret“... Haben wir's doch immer schon geahnt, dass Luther, wenn er so richtig gut drauf war, in den Keller des Pfarrhauses lachen ging!

Von Reinhard Kriechbaum

Doch welche Überraschung, wenn Laute, Barockgitarre oder Chitarrone ein ums andere Mal um die Wette schunkeln, wenn die Gambe ins Swingen kommt und die Blockflöte mit den allerwitzigsten Diminutionen neben ihren zupfenden und streichenden Partnern einher flattert. Da kann es schon passieren, dass sich der Sänger – der Tenor BjörnWerner – ausgerechnet in „Ach wie flüchtig, ach wie nichtig“ Strophe um Strophe sich hineinsteigert in einen Springtanz. Was wie ein Freudentaumel anmutet, ist indes als Musik-Bild eines Totentanzes zu verstehen. Treibt da ein Ensemble, das sich ganz der Tanzmusik aus Renaissance und Barock verschrieben hat (und das vor modernem „Folk“ auch auf alten Instrumenten nicht zurückschreckt), mit Entsetzen Scherz?

Die CD „Luther tanzt“ des Ensembles „The Playfords“ hält in 22 Stücken ebenso viele Überraschungen bereit. Die Hypothese: Das evangelische Kirchenlied als lehrreich-knochentrockener Gemeindegesang zur Orgel war nicht die Sache Luthers. Er sei ganz anders gewesen als seine Kollegen, die gestrengen Radikalreformatoren Zwingli und Calvin. Anders auch als die nachgeborenen Pietisten, die das Frömmlerische in die Kehlen und die Orgelpfeifen quetschten. Luther selbst sei – so der Interpretationsansatz der „Playfords“ – erstens alles andere als ein musikalischer Asket gewesen. Und, zweitens, habe er er mit manchen frommen Gesängen keineswegs primär auf die gottesdienstliche Musik gezielt, sondern ins pralle Leben draußen. Wie sonst, so argumentiert man, hätte die Kontrafaktur, die Unterlegung neuer Texte, so wunderbar bruchlos funktioniert?

Das kann man so als These stehen lassen, nun geht’s an die prüfende Praxis: Tatsächlich geht auf, was sich „The Playfords“ oft mit einem guten Schuss Frivolität zusammenreimen. Kein noch so „ernster“ Text ist ihnen so heilig, dass sie die jeweilige Melodie nicht auf tänzerische Optionen hin austesteten. Gerade durch die weltlichen Textvarianten lassen sie sich auf neue Fährten bringen. Diese Spuren verlieren sich in der jeweiligen geistlichen Variante nicht verlieren, sondern schenken gerade den frommen Texten neuen Reiz, ringen ihnen lebensnahe Perspektiven ab: pulsierende Katechese, wie man sie so noch nie gehört hat. Manch seriöser Protestant mag ein Kreuzzeichen schlagen, wenn er die Liedermacher-Variante von „Ein feste Burg ist unser Gott“ hört, mit dem durchgehenden, robusten und doch elastischen Trommel-Ostinato. Das bringt kein heutiger Liedermacher oder Rapper krasser rüber.

Recht geben dem oft aberwitzig anmutenden nachgestalterischen Treiben der „Playfords“ die tollkühnen Weltreisen mancher Lieder: So steckt hinter „Vor Gott will ich nicht lassen“ das italienische Lied „Madre, non mi fa Monaca“, also die flehende Bitte einer jungen Maid, sie nicht ins Kloster zu stecken. Wenn man das im Hinterkopf hat, dann liest man einen Vers wie „Er reicht mit seine Hand / den Abend als den Morgen / thut er mich wohl versorgen / sey wo ich woll im Land“ ganz anders: Da wird nicht der katechetische Holzhammer geschwungen. Ganz anders „Lord Willghby's“ Ballade, die umgemünzt wird in ein glaubensgewisses „Ist Gott für mich“ - ein mit Schlagzeug martialisch aufgemotztes, selbstgewisses religiöses Kampflied. Tanz ist nicht immer zum Vergnügen da.

Indes: leichtfüßig ist alles, was „The Playfords“ hören lassen, schwingend und federnd, mit schlüpfrigen Folk-Anklängen unterbuttert. Ein wenig denkt man an Anfänge der Alten-Musik-Bewegung, als manche Dilettanten des Irish Folk alte Instrumente für sich entdeckten. Dieses Ensemble ist natürlich geeichtin der Aufführungspraxis und nutzt solche Anspielungen als gezielt, wenn auch kräftig eingesetzte Würze. Das Gegenteil der Sänger Björn Werner. Ganz unaffektiert, wie im Plauderton serviert er die Texte, die auf diese Weise alles Altertümliche verlieren.

Luther tanzt. The Playfords. Deutsche harmonia mundi, www.sonyclassical.de; www.the-playfords.de

 

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