Mit Bach aufs ewige Leben hoffen

MOZARTWOCHE / COLLEGIUM VOCALE GENT / HERREWEGHE

28/01/25 Philippe Herreweghe ist neben Jordi Savall der Grandseigneur der Originalklangbewegung. Der rüstige alte Herr musizierte am Montag (27.1.) im Großen Saal des Mozarteums mit seinem nicht nur vokalen Collegium Vocale Gent in schönster Eintracht drei Kantaten von Johann Sebastian Bach. Für solch klein besetzte Stücke ist der Saal übrigens nach wie vor auch akustisch eine erste Adresse.

Von Gottfried Franz Kasparek

Man mag bei der Lektüre der Texte des tüchtigen Pastors Erdmann Neumeister zwischen Rührung und Belustigung schwanken, sie sind ein Zeitdokument in all ihrer süßen Jesusliebe und Gott-Ergebenheit. Was Bach daraus gemacht hat, ist ein zeitloser Ausdruck tiefer Spiritualität. Alle drei Kantaten stammen aus den beiden ersten Jahren des Thomaskantors zu Leipzig, 1723 und 1724. Liebster Gott, wann werd ich sterben BWV 8 beginnt mit einem Klangexperiment von „kunstvoller Simplicität“. Wie die Traversflöte, eindringlich gespielt von Patrick Beucke, da über dem Gleichmut der beiden Oboen d'amore repetiert, wirkt heute noch aufregend modern. Das Herz pocht, die Totenglocke läutet. Die Hoffnung auf das ewige Leben regiert den Rest des Stücks. Herreweghe setzt feinste Akzente, seine eingeschworene Instrumentalgruppe erfreut mit geradezu fröhlicher Spiellaune, das Vokalensemble bietet neben größter Textverständlichkeit schönste Ausgewogenheit.

„Dein Vater und dein Herr Gott“ regiert die folgende Kantate Warum betrübst du dich, mein Herz BWV 138. Rund um eine einzige Bassarie erfreuen Chorsätze und Rezitative mit barockem Glanz.

Nach der Pause dann die 14sätzige Kantate Die Elenden wollen essen BWV 75, komponiert zum Debüt Bachs in St. Nikolai. Da hat die Trompete viel zu tun, um die Lazarus-Geschichte und vor allem die göttliche Gerechtigkeit zu feiern. Alain De Rudder vollbringt am ventillosen Instrument Wunderdinge an klanglicher Schönheit und ganz selbstverständlicher Virtuosität. Wenn er in der zentralen „Sinfonia“ die Choralmelodie über den pastosen Streichern spielt, wird deutlich, wie herzerwärmend Originalklang sein kann. Die phantastische, bei aller historischen Informiertheit zutiefst menschliche Balance zwischen Dramatik und Lyrik ist eines der Geheimnisse von Philippe Herreweghes Bach-Ästhetik.

Inmitten des zwölfköpfigen Chors gibt es Solisten, die begeistern. Die Sopranistin Grace Davidson verfügt wahrlich über eine schlackenlose Engelsstimme, die in der Arie Ich nehme mein Leiden mit Freuden auf mich in der dritten Kantate ebenso berührt wie der ausdrucksvolle Bass von Krešimir Stražanac in Mein Herze glaubt und liebt. Dabei merkt man, dass der kroatische Sänger auch bei Beethoven oder Richard Strauss daheim ist, was seiner barocken Verzierungs-Kunst gar nicht schadet. Auch dem sensibel nuancierenden Countertenor Alex Potter ist zum Beispiel Benjamin Britten nicht fremd. Als Barockspezialist hat sich sein britischer Landsmann Guy Cutting einen Namen gemacht, hat nun aber auch Mozart und Zeitgenössisches auf seiner Repertoireliste. Der helle, ausgewogene, warm timbrierte Tenor, über den er verfügt, lässt auf weitere Expansion hoffen.

Im Mai 1723 hatte „der neue Cantor und Collegii Musici Director Herr Johann Sebastian Bach“ seine Arbeit in Leipzig mit „guten applausu“ begonnen. Der gute Applaus im Mozarteum steigerte sich zurecht ins Festliche.

Hörfunkübertragung am 19.2. um 19:30 Uhr, Ö1
Bilder: ISM / Wolfgang Lienbacher