„Selbstverschwendung“ – von Kiel bis Marienbad

STEFAN ZWEIG POETIKVORLESUNG

15/05/12 „Das Leben ist ein Scheißding.“ So begann die erste Poetikvorlesung in der ehrwürdigen kleinen Bibliotheksaula. Wer den Kieler Autor kennt, wusste, worauf er sich einließ. Kluge Teekannensprüche kann Zaimoglu ebenso wenig leiden wie biedere Schreibschulen, spießbürgerliche Pseudoliteraten und die jeweiligen Gegner des FC Bayern München. Als Erfinder der "Kanak Sprak" hat er vor zwanzig Jahren provoziert.

Von Harald Gschwandtner

Drei Vorlesungen, drei Konversatorien, ein Abendtermin mit Film, Lesung, Laudatio und Gespräch: Feridun Zaimoglu hatte in der letzten Woche ein dichtes Programm in Salzburg zu absolvieren. Wer kam, wurde reichlich belohnt.

„Selbstverschwendung (in drei Bildern)“ lautete der Titel der diesjährigen Stefan-Zweig-Poetikvorlesung. Der in Anatolien geborene, seit 35 Jahren in Deutschland lebende Zaimoglu berichtet von der schwierigen Verquickung von Leben und Schreiben ebenso wie von oft konfliktreichen Konfrontationen mit Lesern, von den mitunter radikalen Reaktionen auf sein Debüt Kanak Sprak. 24 Misstöne vom Rande der Gesellschaft von 1995: „Sie nannten mich einen Genitalartisten, eine vulgäre Sau im Angestelltenanzug, eine parfümierte Kanalratte, die materialisierte Gaswolke aus dem Abwasserkanal.“ Zaimoglu hatte aus Interviews mit jungen türkischstämmigen Männern 24 Monologe in einem für die Literatur ganz neuen Ton verfasst. In die Sprachwissenschaft hat der Terminus „Kanak Sprak“ inzwischen längst Eingang gefunden.

Fast zwanzig Jahre sind seit Zaimoglus Debüt vergangen. Für die erste Vorlesung „Das verätzte Ich“ hat er einige der Männer wieder besucht, sich nach ihrem Ergehen erkundigt. Das Ressentiment gegen den „Eierkopf“ ist da wie ehedem: „Du bist ein Schreiber, du paust uns alle ab, dann hockst du in der Bude, zerreißt die Kopie, machst dein eigenes Bild, das ist die Kopie von der Kopie“. – Das klingt erstmal wie Platons Vorbehalt gegen den doppelten Abbildcharakter der Literatur. Und ist doch nur (?) der Vorwurf eines heruntergekommenen Kleinkriminellen. Ja, auch von Unterschieden zwischen high und low hält Zaimoglu wenig, Poetik und Alltagswelt sind nicht voneinander zu trennen. Selbstgenügsame Kulturkritik verkommt für ihn schnell zur „Angeberfloskel“: „Philosophiegewäsch. So dachte nur einer, der Beute machen wollte.“

„Molière“, 2007 auf der Halleiner Perner-Insel unter der Regie von Luc Perceval uraufgeführt, ist ein gutes Beispiel für Zaimoglus Rolle als streitbarer und umstrittener Autor, die in seinen drei Vorlesungen immer wieder im Zentrum stand. Zaimoglu hatte gemeinsam mit Günter Senkel eine intensive Marathonkomposition aus „Menschenfeind“, „Don Juan“, „Tartuffe“ und „Geizigem“ erstellt. Die Reaktionen von Kritik und Publikum – der Autor dieser Zeilen erinnert sich lebhaft an entrüstete Damen und Herren, gehobenen Alters bevorzugt – waren so extrem wie das Stück selbst. Herausforderung und Enttäuschung von harmonischen Erwartungen gehören zu seinem Programm.

Zaimoglu ist in diesem Jahr auch als Träger des Preises der Literaturhäuser unterwegs. In elf Städten wird er mit einer Laudatio – in Salzburg von Hubert Winkels – empfangen, ist eingeladen zu Lesung und Gespräch. Am Dienstag, 8.5., wurde er in der Edmundsburg geehrt. Der Preis der Literaturhäuser geht stets an Schriftsteller, die sich gerade durch ihre Vorlesekunst auszeichnen. Zaimoglu war da zweifellos die richtige Wahl, sein rhythmischer Duktus hat auch in Salzburg Eindruck gemacht.

In der letzten Vorlesung am Donnerstag ging der Autor noch einmal auf Reisen, nach Marienbad. Doch nicht, um sich dem Schmachten für 17-jährige Mädchen hinzugeben, wie weiland noch größere seiner Zunft, sondern als Auseinandersetzung mit und Abschied von dem Stoff seines zuletzt erschienenen Romans Ruß: „Die Reise nach Marienbad trat ich an, weil ich mich in unvertrauter Stadt erinnern will an die Wochen in Duisburg, da ich suchte, fand und schrieb.“ Wieder findet er Skeptiker, die ihm als Autor „Seelenwühlerei“ vorwerfen. Erlebt die prekären Wechselwirkungen von Fiktion und Realität. Erkennt Verhaltensweisen seiner Figuren in den Menschen seiner Umgebung, und umgekehrt. Kommt schließlich aus dem Erzählen wieder wie selbstverständlich zurück zur poetologischen Setzung. Und am Ende ist erneut klar: Schreiben bedeutet für Zaimoglu einen existenziellen Modus des Seins – „Selbstverschwendung“ eben.

Bild: Literaturhaus/Bettina Fürst-Fastré