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Lesung mit Zugabe

LITERATURHAUS / DEUTIKE VERLAG

28/04/11 So kann und so soll Literaturhaus sein – souveräne, auch sprechtechnisch überzeugende Lesungen, knappe und informative Einführungen und Zwischengespräche, rundherum Musik. Am Mittwoch (27.04.) stellten Julya Rabinowich, Linda Stift und Ernst Molden ihre neuen - im Wiener Deuticke Verlag erschienenen Werke - vor.

Von Harald Gschwandtner

altDrei Gattungen (Roman, Novelle und Songtext) brachte der Abend – und drei ganz unterschiedliche Charaktere und literarische Stimmen. Die Lesungen von Linda Stift und Julya Rabinowich wurden gerahmt von Texten Ernst Moldens, die vor kurzem gesammelt unter dem Titel „Liederbuch. Songtexte aus 15 Jahren“ erschienen sind. Und weil es, wie Molden ausführte, eben „Lyrics“ seien – und keine „Lyrik“ –, wurden sie im Literaturhaus auch zu Gitarre und Mundharmonika vorgetragen. Bob Dylan, dem der Wiener Sänger und Schriftsteller am Ende mit seiner Übertragung von „Red River Shore“ Reverenz erwies, hätte bei dieser strengen Unterscheidung wohl Einwände gehabt, aber das nur am Rande.

Moldens Lieder scheinen dem Geist einer Zeit zu huldigen, als sich noch nicht jeder halb- und ganzwüchsige Musikus ‚Singer/Songwriter‘ nannte. Er schreibt und singt sich in eine österreichische Tradition ein, die etwa Ludwig Hirsch und Georg Danzer auf ihre ganz eigene Weise geprägt und mitgestaltet haben. Und das mit einem selbstironischen Gestus („I tarat spün“), der dem Werk dieser beiden wie auch dem Wiener Liedgut ganz allgemein innewohnt. Eine ‚regionale Urbanität‘ mit dem Blick für den Ausbruch und das Skurrile („Weiter als Heiligenstadt“) trifft hier auf amerikanische musikalische Einflüsse, kreuzt sich hörens- auch lesenswert.

Freilich heimst der Musiker immer den meisten Applaus ein – das liegt in der Natur der Sache. Doch standen die beiden Autorinnen dem musikalischen Drumherum in ihren Lesungen um nichts nach. Linda Stifts dritter Roman „Kein einziger Tag“, wie die beiden ersten bei Deuticke erschienen, machte den Anfang. Der Topos vom fremd-vertrauten Doppelgänger wird hier radikal weitergedacht. In der Erzählung von den siamesischen Zwillingen Paul und Paco geht Stift dem Verhältnis von Nähe und Entfernung auf den Grund, einem Verhältnis, das in diesem Fall eine ganz manifest körperliche Komponente hat.

Für Paul, aus dessen Sicht das Buch erzählt wird, verursachte die Trennung von seinem Bruder einst nicht „Leere“ an seiner Seite, vielmehr gewann er dadurch „Freiraum“, während Paco die Separation nie wirklich akzeptiert hat. Als der inzwischen als Schauspieler arbeitende Paco nun nach zwanzig Jahren wieder in das wohlgeordnete Leben des Bruders eindringt, werden die Bruchlinien von dessen Existenz deutlich und all die wechselseitigen Obsessionen, die mit Liebe nur wenig zu tun haben, gewinnen eine neue Dynamik. Vom Porträt einer schwierigen und bisher in der Literatur kaum beachteten Geschwisterkonstellation ausgehend, baut Stifts Roman zusehends kriminalistische Spannung auf.

Eine Obsession treibt auch die Protagonistin in Julya Rabinowichs neuem Buch „Herznovelle“ um. Die in St. Petersburg geborene Autorin stellt in ihrem zwischen präzisem Psychogramm und beißender Ironie changierenden Text eine Frau vor, die nach einer Operation am Herzen aus einer sicheren, aber langweiligen Ehe ausschert, in der sie nur zwischendurch „verhaltensoriginell“ sein darf, und just dem Herzchirurgen verfällt.

Schnell wird die dankbare Patientin zur aufdringlichen Stalkerin. Was in mancher Passage hochkomisch erzählt wird und sich in einer außergewöhnlichen sprachlichen Bildlichkeit ausdrückt, beruht, wie die Autorin im Gespräch ausführte, auf akribischen Recherchen und Interviews im medizinischen Milieu. Rabinowichs Novelle stellt sich dabei, wie der jüngst bei Zsolnay erschiene Roman „Das elektrische Herz“ von Peter Stephan Jungk, als ein Versuch dar, das heilkundlich-literarische Mischphänomen ‚Herz‘ zu fassen und in einer findigen Erzählkonstruktion weiterzudenken.

Der Abend zur Gänze ein Erfolg, auch weil er vorführte, wie man anspruchsvolle Literatur ‚inszenieren‘ kann, ohne von der je spezifischen ästhetischen Qualität der vorgestellten Werke abzulenken. Und: Wie oft gibt es bei einer Buchpräsentation nach vollen zwei Stunden schon eine reich beklatschte Zugabe?

Bilder: LH /Margit Manul/Magadalnea Waszczek/Heribert Corn

 

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