Im Transit zwischen Tora und Laptop

LITERATURHAUS / RABINOVICI

07/12/10 Eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Holocaust, der Frage nach Identität in einer globalisierten Welt, dem Umgang mit Erinnerung und das alles mit ausgesuchtem Wortwitz versehen. Unmöglich? Doron Rabinovici bewies im Literaturhaus bei seiner Lesung aus „Andernorts“ das Gegenteil.

Von Thomas Macher

Der Flug von Tel Aviv nach Wien: Ein orthodoxer Jude, der im Korridor betend „headbangt“, ein junger israelischer Geschäftsmann mit einer goldenen Uhr und zionistischen Ansichten und eine alte Dame, die ihre Tabletten besser ordnet, als ihre Erinnerungen. Mittendrin der Kulturwissenschafter Ethan Rosen, der sich von so vielen unterschiedlichen Persönlichkeiten und Ansichten überwältigt fühlt und gleich eine zweite Identität annimmt, nur um daraufhin von seinen Sitznachbarn nicht mehr erkannt zu werden.

Das erste Kapitel von „Andernorts“ stößt den Leser mitten in eine Welt im Transit zwischen Ost und West, zwischen Tora und Laptop, zwischen religiös verwurzeltem und modernem Judentum. Es sind diese Gegensätze, die Rabinovici in wenigen Auszügen aus seinem Buch und manchmal im fliegenden Wechsel zwischen Jiddisch und Wienerisch, vorzutragen versteht.

Doch es ist auch die Differenz zwischen dem Wissenschafter Rosen, jemand der, wie Rabinovici meint, „überall zuhause, aber nie daheim ist“ und seinem akademischen Konkurrenten Rudi Klausinger, dem zweiten Protagonisten des Romans, der die Fähigkeit besitzt, sich seiner Umwelt chamäleonartig anzupassen. Die Auseinandersetzung der beiden Gelehrten über unterschiedliche Perspektiven legt alte Wunden frei und schließlich meldet sich auch Rosens Mentor Dov Zedek mittels einer Tonbandaufnahme aus dem Jenseits: Er setzt sich auf Band mit dem Schicksal der letzten Holocaust-Überlebenden, den „Untoten“ wie er meint, und dem Geschäft mit Auschwitz, dem „Disneyland der Vernichtung“, auseinander.

Große, düstere Themenkomplexe ausgetragen auf der Bühne einer globalisierten Welt. Das Ensemble von gebrochenen, vielseitigen und zerrissenen Figuren, die Rabinovici dabei auftreten lässt, droht einen anfangs beinahe zu erschlagen. Doch dem Autor gelingt es der schweren Kost eine Brise feinen Humors hinzuzufügen, die die Handlung verdaulicher macht. Eine Kunst, die Rabinovici auch im Literaturhaus meisterhaft beherrscht. Schwierige Fragen nach Identität und Judentum werden so zwar eingehend, aber auch humorvoll und manchmal sogar mit einer Kreisky-Anekdote beantwortet. Ein gelungener Abend mit spannender Literatur über zwei Welten von einem Autor, der sich in beiden bewegt und der sie zu verbinden, aber auch zu trennen versteht.

Bild: Literaturhaus/Susanne Schleyer/Suhrkamp Verlag