Wohlan! So bin ich deiner los.

LITERATURFRÜHSTÜCK

07/02/10 Abschied und Verlust sind große Themen in der Literatur. Beim Literaturfrühstück dennoch nicht die Tränen, sondern auch der Kaffee. Auch der Ex-Geliebte weint nicht immer.

Von Michael Russ

„…mitten in dem Leben“ war der Titel der Veranstaltung nach einem Luther-Zitat, „..sind wir vom Tod umfangen“, geht es weiter.

Und so war der erste Teil dem literarischen Abschied von einzelnen Lebensabschnitten gewidmet, vom Abschied von der Kindheit bis hin zum endgültigen Abschied vom Leben. Ilse Gottschall gab beim Literaturfrühstück am Donnerstag (4.2.) einen fundierten Überblick.

„Owe, war sint verswunden alle mine jar“, klagte Walter von der Vogelweide in seiner „Alterselegie“. Er verknüpfte die Klage über die dahingegangenen Lebensjahre mit der Trauer über sich ändernde Gepflogenheiten und den Kahlschlag der Wälder.

Diese Art von Verknüpfung findet sich durch die Zeiten - und fand in den 70er und 80erJahren des 20. Jahrhunderts einen Höhepunkt als sich kritische Töchter und Söhne in ihrem literarischen Abschied von der Kindheit mit den Sünden der Elterngeneration und im weiteren Sinn der Gesellschaft auseinandersetzten. Man denke dabei an Urs Widmer, Peter Henisch, Zoe Jenny oder Walter Müller.

Der Abschied von der Heimat, oft mit dem Abschied von einer Epoche verbunden, wurde im zweiten Teil des Literaturfrühstücks behandelt. Stefan Zweigs „Die Welt von Gestern“ durfte hier nicht fehlen, natürlich auch Walter Kappacher nicht, der Salzburger Büchner-Preisträger, der in „Der Fliegenpalast“ zehn Tage im Leben des alternden Hugo von Hofmannsthal beschreibt, in denen sich dieser mit dem Ende der ihm vertrauten Zeit und dem eigenen Alter auseinandersetzen muss.

Was für Hofmannsthal oder Joseph Roth das Ende der Monarchie war, ist für andere das Ende der DDR. So beschreibt Julia Schoch im Roman „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“ Leben und Tod ihrer Schwester, die mit dem Leben nach der DDR nicht zu Rande kam.

Das große Thema in der Literatur – und nicht nur dort – ist der Abschied der Liebenden, sei er erzwungen oder freiwillig. Im „Taglied“ des Mittelalters, in „Heines Buch der Lieder“, in „Tristan und Isolde“ oder „Romeo und Julia“: die Trennung der Liebenden hat die Hörer und Leser zu allen Zeiten ergriffen.

Scheiden, Scheidung oder gar Tod füllen Romane, Gedichtbände und Theaterbühnen. Aber nicht immer muss dieser Abschied schmerzvoll sein: "Wohlan! So bin ich deiner los/Du freches lüderliches Weib!/Fluch über deinen sündenvollen Schoß/Fluch über deinen feilen geilen Leib…" Clemens Brentano zeigte in feurigen Worten, dass diese Art von Abschied auch Erleichterung bringen kann und Neubeginn.

Ilse Gottschall ist eine elegante Erscheinung mit gepflegter Sprache, die Liebe zur Literatur ist ihr deutlich anzumerken. Zwischendurch wirkt sie ein wenig distanziert, was dem Vortrag etwas die Dynamik nimmt. Dabei kann sie auch anders, wie man beim Rezitieren des oben angesprochenen Brentano-Gedichtes merken konnte, wo die Literaturwissenschaftlerin richtig aus sich herausging. - Ein weiteres gelungenes Literaturfrühstück, anschaulich, sinnlich und informativ.