Nicht alles was Tradition ist, spendet Geborgenheit
RAURISER LITERATURTAGE 2019
05/02/19 Auf.Bruch. Das kann gut sein oder schlecht. „Aufbrechen zu neuen Ufern“ klingt nach Abenteuer, ist aber gleich viel weniger cool, wenn „das Boot voll ist“ oder man am neuen Ufer gleich gar nicht anlegen darf. „Migration“ ist dennoch nur einer der Schwerpunkte der Rauriser Literaturtage von 27. bis 31. März. Den Rauriser Literaturpreis 2019 erhält Philipp Weiss.
Von Heidemarie Klabacher
„Das Thema Migration dominiert, das ist nicht ganz überraschend, aber sehr spannend“, sagte Manfred Mittermayer heute Dienstag (5.2.) bei der Programmpräsentation zu den Rauriser Literaturtagen gemeinsam mit Ines Schütz. Das Motto: Auf.Brüche.
„Unsere Welt ist dynamischer, beweglicher geworden. Reisen ermöglichen die Begegnung mit anderen Kulturen, berufliche Karrieren sind nicht mehr auf Dauer festgelegt. Es ist leichter geworden, den Lebenszusammenhang zu verlassen, in den man hineingeboren ist.“ Das ist tatsächlich spannend, birgt aber auch Quellen für Ängste und Phobien, ist dadurch unsere Existenz doch zugleich ungewisser und instabiler geworden. Die gerühmte und geforderte „Flexibilität“ in modernen Karrierewegen wird von jungen Menschen längst nicht mehr nur positiv gesehen...
Doch das sind immer noch pure Luxusprobleme, verglichen mit den Schicksalen von Menschen, die von Krieg und Verfolgung gezwungen werden, „ihre alten Adressen aufgeben, in andere Länder ziehen und vielleicht gar keine neue Heimat mehr finden können“. Berufliches ständiges Neu-aufbrechen-Müssen ist eine eher brandaktuelle Facette von Auf.Brüchen. Andere Gesichtspunkte hat es immer schon gegeben: „ Nicht nur in unserer Zeit, auch in der Vergangenheit hat es Biografien gegeben, die sich plötzlich ändern mussten.“ In der Literatur schlage sich das oft, so Mittermayer, in Familiengeschichten nieder. Solche Roman „spiegeln die Zeitläufte, erzählen von Aufbrüchen sehr oft unter dem Einfluss von Gewalt und Zwang.“
Doch auch die Literatur erzählte und erzählt durchaus auch von positvien Auf.Brüchen, solchen, die nicht in Zusammenhang von Politik und Gewalt ihre Ursache hatten und „Chancen und Möglichkeiten“ bergen. „Doch viele konnten und können die Chancen nicht nützen, die der Aufbruch bieten kann.“
Es ist ein hochaktuelles und hochkomplexes Themenfeld, das Manfred Mittermayer und Ines Schütz mit den Autorinnen und Autoren der Rauriser Literaturtage 2019 beackern werden: „Nicht zufällig handeln viele der Bücher, die bei den Rauriser Literaturtagen 2019 vorgestellt werden, von der Migration, der zentralen Herausforderung unserer Zeit. Und sie schildern, wie auch in früheren Jahrzehnten bereits einzelne Biographien und die Geschichte ganzer Familien vom aufgezwungenen Wechsel der Lebensschauplätze geprägt waren. So werden Auf-Brüche oft buchstäblich zur Ursache von Brüchen in menschlichen Lebensläufen, zur Veranlassung, sich Situationen existenzieller Unsicherheit zu stellen – in denen man ohne die Offenheit der anderen keine Möglichkeit erhält, die Chancen dieses Neubeginns tatsächlich zu ergreifen.“
Die Rauriser Literaturtage befassen sich, also einmal mehr aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln, mit einem ambivalenten, aber gleichzeitig faszinierenden Phänomen, das unsere Gegenwart bestimmt.
Zu Gast sind – der Reihe ihres Auftretens nach – Petra Nagenkögel, Verena Mermer, Vladimir Vertlib, Peggy Mädler, Nana Ekvtimishvili, Daniel Wisser, die Lyriker Simone Lappert, Tom Schulz und Ales Steger, weiters Vincenzo Todisco, Susanne Fritz und Karl-Markus Gauß.
Der Rauriser Literaturpreis 2019 geht an Philipp Weiss für sein Romandebüt Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen, gab Kulturlandesrat Heinrich Schellhorn bekannt, der Förderungspreis geht an Katherina Braschel für ihren Text Das gute Bild zum vorgegebenen Thema Neubeginn.
„Mit seinem mehr als eintausend Seiten umfassenden Werk Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen legt er ein ganz außergewöhnliches Debüt in fünf Einzelbänden vor“, schreibt die Jury in ihrer Begründung. Es gelinge dem Autor, „die in diesen Bänden entworfenen AutorInnenfiktionen in einer staunenswerten stilistischen Breite zu literarischem Leben zu erwecken.“ Weiss handhabe Gattungsformate wie Journal, Cahier, Enzyklopädie, Protokoll und Comic in einer unbekümmert-meisterhaften Weise: „Sein Werk schreibt die Geschichte der Empfindsamkeit fort, ohne selbst in einen historisierenden Ton zu verfallen. Damit wird Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen zu einem gewichtigen Statement aktueller Literatur. Die Ausstattung des im Suhrkamp Verlag erschienenen Werkes unterstreicht das hohe Niveau.“
(Wird fortgesetzt.)