Wer bin ich und wenn ja, wie viele?
LITERATURHAUS / LESUNG SEIDENAUER
10/10/18 Als „Autorin-Menschen-Freundinnen-Autonomes-Eigenständiges-Konglomerat“ bezeichnet Gudrun Seidenauer die Basis ihrer Figuren. In „Was wir einander nicht erzählten“ geht es um die Verbundenheit und Abhängigkeit der beiden Protagonistinnen und vor allem um die Suche nach dem eigenen „Ich“, die sie immer wieder an ihre eigenen Grenzen stoßen lässt.
VON LAURA TRAUNER
Wenn im Literaturhaus so viel los ist, dann sei entweder eine Berühmtheit im Haus oder aber es liege eine ganz besondere Herzensbindung vor, kommentierte Tomas Friedmann, der die Veranstaltung begleitete, einleitend den enormen Besucherandrang am gestrigen Dienstag (9.10.) im Literaturhaus zur Lesung von Gudrun Seidenauer. An der Richtigkeit der zweiten Option ließ das überraumgroße Publikum bei der Präsentation ihres vierten Romans „Was wir einander nicht erzählten“ (Milena Verlag) keinen Zweifel offen. Das Gespräch mit der Autorin führte Daniela Marienello, Obfrau des Literaturhauses Henndorf und Arbeitskollegin Seidenauers am musischen Gymnasium Salzburg.
Die in den 80er-Jahren beginnende Handlung des Romans dreht sich um Amelia, Tochter von Alexander und der auf Grund einer psychischen Krankheit im Sanatorium lebenden Cordula, genannt Mella, die auf Grund eines Wohnortwechsels im Winter des zweiten Schuljahres in Maries Gymnasialklasse kommt, und dort nicht nur vorübergehend den Sitzplatz, sondern innerhalb kürzester Zeit auch die Rolle von deren besten Freundin Hannah einnimmt. Während Marie sich stark fühlt neben der selbstbewussten Mella und begeistert ist von deren aufregenden und abenteuerlichen Schilderungen ihres Lebens, verbirgt sich hinter Mellas spannenden Geschichten vor allem eines: Der Versuch, nicht als Opfer ihrer familiären Umstände gesehen zu werden und Marie ist für Mella die beste Möglichkeit, diese Wirklichkeit zu leben.
Im Laufe der Geschichte kommt es allerdings zur romantischen Begegnung zwischen Marie und Mellas Vater Alexander. Marie, die sich gezwungen sieht, sich zwischen Mella und Alexander entscheiden zu müssen, wählt die Liebe. So stehen sich Mella und Marie eines Tages getrennt durch einen Keil aus Unausgesprochenem gegenüber, gegen den nicht einmal der Tod von Mellas Mutter Cordula etwas ausrichten kann, woraufhin die ehemals besten Freundinnen getrennte Wege gehen.
Gudrun Seidenauer ist neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit als Lehrkraft für Kreatives Schreiben sowie für Deutsch und Italienisch tätig. Gerade diese Mischung ist es womöglich, die ihr diese besondere Sensibilität für die jeweiligen Altersstufen der Protagonistinnen möglich macht. Eine Spezialisierung haben, laute ihr Credo, so Seidenauer. Schließlich sei es nämlich Fachwissen, das Unterhaltungsromane von Bildungsromanen unterscheide. Ihr vierter Roman „Was wir einander nicht erzählten“ ist vor allem ein Entwicklungsroman, der die Protagonistinnen in zwei abwechselnden Erzählsträngen auf der Suche nach sich selbst begleitet, einmal im Alter von etwa 12 bis 23 Jahren, einmal bei einem zufälligen Wiedersehen über 20 Jahre später, wo sich ihnen letztlich doch die Gelegenheit bietet das ehemals Unaussprechliche in Worte zu fassen und aufeinander einzugehen. Wie sich das Gesagte schlussendlich auf die Beziehung zwischen den beiden auswirkt, wird allerdings offengelassen. Eines sei aber gewiss, meint Seidenauer: „Nichts zu sagen führt sicher auch nicht zum Glück.“