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In der Unterhaltung steckt die Haltung

IM WORTLAUT

12/10/18 Seit 25 Jahren leitet Tomas Friedman das Literaturhaus Salzburg. Was sich in diesem Vierteljahrhundert verändert hat – am heutigen H.C. Artmann-Platz, beim Publikum, bei ihm selber und auch sonst in der Literaturszene – fasste Tomas Friedmann für DrehPunktKultur zusammen. - Hier die Analyse im Wortlaut.

Von Tomas Friedmann

Was hat sich in den letzten 25 Jahren in der „Literaturszene“ verändert? Die Frage ist so groß wie die „Literaturszene“ selbst, denn die umfasst im weiteren Sinn nicht nur Autorinnen und Autoren, Verlage, Veranstalter, Literaturvermittler, Buchhandlungen, Bibliotheken, Literaturzeitschriften etc., sondern greift auch über auf den Bildungs- und Wissenschaftsbereich, auf die Medienlandschaft und die ganze Gesellschaft. Jede und jeder Einzelne von uns weiß um vergangene Veränderungen, ahnt und spürt gegenwärtige und fürchtet vielleicht künftige.

Wir leben in Zeiten von Umbrüchen und Rissen, die natürlich auch die Literatur beeinflusst – und umgekehrt. Viele sehen dabei Veränderungen negativ, andere als notwendige „Marktbereinigung“. Tatsache ist, dass weniger Bücher gekauft und gelesen werden; Auflagenzahlen sinken, Verlage und Buchhandlungen stehen unter Druck, die Risikobereitschaft für anspruchsvolle Texte wird sinken, wenn nicht unterstützend gegengesteuert wird – bildungspolitisch, ökonomisch, kulturpolitisch. Positiv kann man sagen: Noch immer sind Worte und Sprachen wichtig und mächtig. Denken wir nur daran, dass auch heute noch ein Buch oder ein Zeitungskommentar eine landesweite Debatte auslösen kann, Autoren wie Journalisten verbal attackiert oder gar mit Gefängnis bedroht werden, wenn sie es wagen, bestimmte Themen kritisch zu behandeln. So unbedeutend kann also Schreiben und Lesen nicht sein.

Lesen und Schreiben sind ja viel mehr als Zeitvertreib oder berufliche Notwendigkeit, es geht um eine Kulturtechnik, die mit Wahrnehmung, Erinnern, Nachdenken, Reflektieren, Verstehen, Formulieren und Kommunizieren zusammenhängt. Wenn also weniger gelesen wird, wirkt sich das auf das Individuum und die ganze Gesellschaft aus. Nein, es wird gewiss nicht weniger „lustvoll“ gelesen. Ja, es wird heute weniger gelesen – und wohl damit verbunden weniger aufgeklärt hinterfragt, weniger neugierig kommuniziert, weniger empathisch geliebt.

Stattdessen sind viele am Handy wischend auf der Suche nach sich selbst, nach einem Halt, nach Werten, an denen sie sich festhalten wollen. Also man geht zum Yoga, flüchtet in die Berge, bleibt zu Hause, besucht Selbsterfahrungsseminare und umarmt lieber Bäume, als mit dem Nachbarn zu reden oder solidarisch zu handeln, sich kritisch und mutig zu Wort zu melden. Man ist zwar gegen Zäune zwischen den USA und Mexiko oder an den EU-Außengrenzen – und gleichzeitig baut man Zäune um sich, um die Familie und die engsten Freunde. So wird das aber nichts mit der Welt. Es reicht nicht mit dem Rad zu fahren oder Bio-Obst zu kaufen. Wie wär’s, nicht nur auf den Kapitalismus zu schimpfen, sondern dem Partner, der Schwester, der Freundin ein Gedicht vorzulesen, einen Brief zu schreiben, sich mit dem Nächsten auseinanderzusetzen und sich einzumischen?

Das hängt alles zusammen. Die zunehmende Ökonomisierung aller Lebensbereiche betrifft die ganze Gesellschaft und wirkt sich auf die Politik aus, auf Arbeits- und Lebensbedingungen, auf das Freizeitverhalten und auf die Kunst. Viele – nicht nur junge – Menschen laden sich heute Musik aufs Handy runter, schauen Filme am Laptop, kommunizieren lieber über WhatsApp – und lesen weniger anspruchsvolle Zeitungen und Bücher. Mit veränderter Rezeption verändert sich die Produktion – so auch in der Literatur, die im „Auftritt“ eigentlich relativ „konservativ“ ist.

Das Buch ist ja seit fünfhundert Jahren fast unverändert – einfach zu handeln, leistbar, zum Wiederverwenden und Weitergeben geeignet, ohne Strom, Batterie oder Akku jederzeit und an jedem Ort verwendbar: im Flugzeug wie in der Badewanne, im Sitzen wie im Liegen. Trotzdem aber das Buch ein so unschlagbar intelligentes Produkt ist, kämpft es um Aufmerksamkeit. Kein Wunder: So ein Buch kann ganz schön unbequem sein, einen herausfordern und in Frage stellen. Das passt gar nicht gut zum zeitgeistigen Chillen und Relaxen, zur Individualisierung und ängstlichen Abschottung. Vielleicht entsteht auch daraus bei manchen sogar ein Hass auf Kunst und Künstler, die angeblich nichts Gescheites tun, auf den Kunstbetrieb, der immer noch widerständig ist. Vielleicht hegen deshalb manche die Hoffnung, das Buch sei bald tot. Sie glauben, dann hätten sie eine Ruhe. Nein, das Gegenteil wäre der Fall. Wie lebenswert wäre ein Leben ohne Musik, ohne Literatur, ohne Schönheit und ohne Kultur, zu der auch gutes Essen, Tanzen, Reden, menschengerechtes Wohnen und der bewusste Umgang mit Natur gehören!? Man sieht ja, wohin der Rechtsruck führt: zu mehr Spannungen, zu mehr sozialer Ungerechtigkeit, zu weniger Solidarität und weniger Kultur – jedenfalls nicht zu einer besseren Welt für alle.

Wer sich auf die richtigen Texte, auf Poesie und Sprache richtig einlässt, sich mutig mitteilt und keine Angst hat, der hat die Chance, sich selbst zu verändern und die Welt um sich mitzugestalten. Dafür steht meiner Meinung auch die gute Literatur – und dafür steht auch ein engagiertes Literaturhaus. Wir bieten im besten Sinn „Unterhaltung“, darin steckt ja die „Haltung“.

Das Publikum ist bereit, sich herausfordern zu lassen: Im Literaturhaus Salzburg wollen die Besucherinnen und Besucher nicht nur einen netten Abend verbringen, weil sie nicht wissen, was sie sonst mit ihrer Zeit anfangen sollen. Unsere Gäste – und das gilt für die am Podium wie für die im Publikum – sind neugierig interessiert, melden sich kritisch zu Wort, nehmen an der Veranstaltung aktiv teil und gestalten so mit, was wie passiert. Das verstehe ich unter bewusst „einlassen“. Das macht diese Arbeit auch so spannend, einzigartig und unberechenbar. Wir werden jeden Tag neu gefordert, und wir lernen jeden Tag dazu – mit Freude. Ein Traumjob! Da hat sich grundsätzlich auch nicht so viel verändert in den 25 Jahren.

Konkret kann man freilich schon sagen: Je nach Buch, Text, Autor, Thema usw. wird eine Veranstaltung inhaltlich und formal konzipiert und dramaturgisch aufbereitet – mit der Bereitschaft zu ungewissem Ausgang. Und noch konkreter: Die Lesezeit hat bewusst etwas abgenommen, die Gesprächszeit zugenommen. Das tut dem Abend meist sehr gut, macht eine Literaturveranstaltung eigenständiger und wird häufig am Büchertisch belohnt. Eine Lesung braucht einen „Bonustrack“ – sei es die besondere Atmosphäre, die Live-Begegnung, das gemeinschaftliche Erleben. Das wollen wir jedes Mal anbieten, darum bemühe ich mich, das macht glücklich – unabhängig davon, ob eine Nobelpreisträgerin oder ein Debütant auf der Bühne sitzt.

Von Kunst zu leben ist möglich – und nicht einfach. Kein Künstler, kein Autor und kein Komponist kennt das Rezept für den Erfolg. Dem Zeitgeist trendig hinterherzuschreiben mag bei mancher Ratgeberliteratur, bei gewissen lokalen Krimis oder seichten Taschenbüchern kurzzeitig für ein bestimmtes Klientel funktionieren und Autoren über Wasser halten – mit Qualität hat das aber meist gar nichts zu tun. Ein Schriftsteller geht seinen individuellen Weg, denkt, fühlt, recherchiert, entscheidet, hinterfragt, arbeitet mit Sprache, formt, schreibt ... begleitet von Lektoren, Kritikern, Buchhändlern, Literaturvermittlern u.a. Und manchmal passiert dabei etwas Besonderes, Unvorhergesehenes, Überraschendes. Das drückt sich dann in Verkaufszahlen, Besucherzahlen usw. aus, bleibt aber dort im Bereich des Nicht-Messbaren, wo es die Gefühle betrifft, die es bei Menschen auslöst. Also kurz und gut: Es geht nicht um „Anpassung“, es geht um Qualität vor Quantität.

Für die Qualität der Vermittlung gibt es keine fixe Regel. Bei bestimmten Autoren und bestimmten Texten „reichen“ ein Tisch, ein Mikrophon und ein Moderator. Das wird von Fall zu Fall überlegt.

Im Salzburger Literaturhaus wird das herkömmliche, einfache Lesungsformat immer wieder durchbrochen und erweitert. Das hat durchaus mit meinem persönlichen Interesse für ungewöhnliche, neue, oft interdisziplinäre Vermittlungsformen zu tun. Darum organisieren wir z.B. Grafic Novel-Ausstellungen, Hörspiel-Nächte, Radtouren, Jazz- und Film-Abende, Verlagspräsentationen in Form von Frühlingsfesten mit Literatur, Musik und Buffet usw. Darum habe ich auch 1995 das Festival „Europa der Muttersprachen“ und später die Büchertankstellen mit Lesefutter für alle erfunden – oder die Idee zum Literaturfest Salzburg gehabt. Aber auch bei jeder Lesung, jeder Buchpräsentation wird überlegt und diskutiert, welche Technik und welche Bestuhlung wir brauchen, wer moderieren darf, was wie lange gelesen wird, ob und wann es ein Gespräch mit oder ohne Publikumsbeteiligung geben soll. Für die Besucher muss das nicht erkennbar sein, im Gegenteil, so ein Abend braucht gerade bei schwierigen Inhalten eine gewisse Leichtigkeit, damit die zahlenden Gäste nach einem vielleicht intensiven Arbeitstag noch ein zwei Stunden auf die Reise zum Abenteuer Literatur mitgenommen werden können. Wir wollen unser Publikum durchaus entführen und verführen – vielleicht ohne dass es unsere Absicht durchschaut.

Daran arbeiten wir im Literaturhaus im Team, bei dem ich mich gar nicht genug für ihr Engagement und ihr Knowhow bedanken kann. Nur gemeinsam – auch mit allen sechs Literaturvereinen im Haus – schaffen wir seit 25 Jahren eine Atmosphäre zum Wohlfühlen und erreichen eine kreative Professionalität, mit der ein anspruchsvolles Programm erst möglich wird. Damit meine ich nicht nur die Literatur. Das fängt bei der Reinigung, dem Kartenvorverkauf, dem Telefonservice und Kalkulieren an, geht über die Erstellung und Verteilung aller Werbemittel, die Mitgliederbetreuung und die Organisation bis zur Technik, Café-Betreuuung und Buchhaltung. Besonders hervorheben möchte ich als unverzichtbareren Teil des Jahresprogramms das Junge Literaturhaus, das so wertvolle Arbeit in Stadt und Land leistet.

www.literaturhaus-salzburg.at
Bilder: Literaturhaus Salzburg

 

 

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