Noch immer türkisgrün die High Heels an der Wand

ESEPROBE / JUNG UND JUNG / OTTO MÜLLER / MENSCHEN AUS SALZBURG

07/03/16 Lauter Salzburger. Viele von ihnen berühmt, manche nur Insidern, einzelne nur ihren Familien bekannt… Zum kollektiven literarischen Gedächtnis Salzburgs gehört die 1989 mit nur 24 Jahren verstorbene Schriftstellerin Meta Merz. - Hier das Portät von Christine Haidegger, der Mutter von Meta Merz, im Sammelband „Menschen aus Salzburg“.

Von Christine Haidegger

Meta Merz

Eine junge Frau in wehendem schwarzem Kleid fährt auf dem Fahrrad über die Staatsbrücke.

Noch ein Vierteljahrhundert später setzt für einen Augenblick mein Herzschlag aus.

Das Fahrrad hieß Antigone und begleitete die Schriftstellerin Meta Merz bis zu ihrem Tod.

Unterhalb der Staatsbrücke gab es ein Fluss-Projekt namens »Arche« von dem Salzburger Künstler Otto Beck. Hier saß sie eines Abends im langen schwarzen Rock mit den großen weißen Punkten und las vor Publikum den Text »Orakel des Delphins«, den sie auf Kartonblätter geschrieben hatte und dann nach dem Lesen Seite um Seite dem Fluss überantwortete.

Weiter hinten, in Maxglan, in der Wilhelm-Erben-Straße wuchs sie auf. Der Kommunalfriedhof mit dem Grab der unbekannten Großmutter, die in demselben Krankenhaus gestorben war, in dem sie geboren wurde, war ein luftig-blumiger Spielplatz, fern vom Straßenverkehr und voller Blumen, deren Namen sie gerne vor sich hin sang. Sie liebte die Statue des großen steinernen männlichen Engels, der nachdenklich unter den Bäumen saß, nicht wissend, dass Jahre später die Urne mit ihrer Asche zu seinen Füßen begraben werden sollte.

Dann mit drei Jahren die Wohnung am Südtiroler­Platz, die für viele Jahre ein kleines Literaturzentrum war. Sie begegnete Autorinnen und Autoren wie Erwin Einzinger oder Josef Winkler, schrieb ihre ersten Texte auf der alten Olivetti Reiseschreibmaschine, schleppte Bücher aus der Stadtbibliothek heim, führte Tagebuch, las und schrieb, malte und fertigte Collagen, die in der Literaturzeitschrift »Projekt-IL« veröffentlicht wurden oder als Cover für eine Anthologie der Salzburger Autorengruppe dienten.

Wir reisten viel, und einmal verwendete ich einen Literaturpreis aus Oberösterreich, wo ich herkomme, dazu, mit ihr nach Spanien zu fahren. Wir wohnten in einer kleinen Familienpension, sie war fünfzehn.

Manchmal traf ich sie in dem kleinen Ort untertags, und einmal saßen wir zufällig zur selben Zeit auf gegenüberliegenden Seiten der Burgmauer und sahen auf den Ort und das Meer, hörten die Stille und plötzlich einen jungen Spanier, der selbstvergessen Gitarre spielte. Sie war fast böse auf mich, hätte diese Minuten gerne für sich selbst gehabt.

So, wie sie sich auch einen anderen Namen suchte.

In Zeiten vor Ultraschall erwartete ich einfach aus irgendeinem Grund einen Knaben und hatte nur für einen solchen Namen parat. Als die mürrische Schwester »aber sofort« für das Register einen Namen für das Kind brauchte und ich den Vater, der Nachtdienst hatte, nicht fragen konnte, dachte ich an meine Großmutter und meine Mutter und gab »Christina-Maria« zu Protokoll.

Als Kind konnte sie das nicht aussprechen und nannte sich kurz »Nina«, so, wie die italienischen Freunde, wo wir die Sommer verbrachten, sie nannten.

Mit schreibenden Eltern war es schwierig, sich zu profilieren, und am Telefon musste immer nachgefragt werden: ChristinA oder ChristinE? Das nervte. Und beim Veröffentlichen von ihren Texten gab es immer wieder Verwechslungen. So fand sie ihr unverwechselbares Schriftstellerinnen-Pseudonym »Meta Merz«.

Sie entwarf eigene Kleider, drapierte ihre langen Haare je nach Laune und färbte sie schwarz: Eine Blondine mit blauen Augen wäre öde, befand sie. Beim ersten Sommerjob auf dem Hagenauerplatz schnitt sie sie radikal ab, sie störten. Mich erschreckte es kurz.

So wie sie sich, ohne uns Bescheid zu sagen, damals im Musischen Gymnasium angemeldet hatte, um uns später lakonisch mitzuteilen, dass sie aufgenommen wäre, war es auch mit dem Studium. Sie experimentierte ein wenig, fand eine lange »Einführung in das Bibliothekswesen« mehr als überflüssig. Zu der Zeit wohnte sie bei einer Freundin in der Tauxgasse, später teilte sie sich mit zwei Regieassistenten eine Wohnung in der Paris-Lodron-Straße. Ihr Zimmer glich einer Bühne. Und im türkis gefliesten Bad hatte sie neben den Grünpflanzen ein Paar abgetragene türkisgrüne High Heels an die Wand genagelt.

Sie arbeitete für die »Szene« und das »toihaus theater«, studierte und schrieb. Mit dem Fahrrad war sie überall und bei jedem Wetter in der Stadt unterwegs, die sie liebte, der sie aber auch kritisch gegenüberstand. Sie war ja in einer Aufbruchszeit unterwegs, erlebte das Ende des Vietnamkriegs, die langsam beginnende Aufarbeitung der NS-Zeit, den Terror der Baader-Meinhof-Gruppe, die Anti-AKW-Bewegung …

Von ihrem ersten Nachwuchsliteraturstipendium kaufte sie mir einen kleinen Farbfernseher zum Geburtstag, damit ihr Vater und ich nicht mehr ab und zu diskutieren mussten, wer wann welche Sendung sehen konnte. Sie machte immer gerne Geschenke, hatte ein Gespür für kleine Wünsche und Vorlieben ihrer vielen Freundinnen und Freunde, und wir feierten gerne auch nichtigste Anlässe.

Sie schrieb einen Text für die Musikerin Mia Zabelka und ihre Gruppe, ein Auftrag, an dem sie lange feilte. Bei der Uraufführung in Linz war sie unglücklich über die schlechte Tonwiedergabe ihres Textes durch die SängerInnen. Das Honorar von 5.000 Schilling hat Mia Zabelka nie bezahlt, im Nachlass fand ich noch einen angefangenen Brief, der mich sehr traurig stimmte. Auch ein unvollendeter Brief an Werner Schwab, den sie besucht hatte, war dabei, in dem sie ihm vorsichtig mitzuteilen versuchte, dass es ihr nicht gelungen war, sein Stück bei der »Szene« annehmen zu lassen.

Dass sie ihren Text »Orpheus würgt daran«, mit dem sie den Rauriser Förderungspreis gewonnen hatte, nicht zur Gänze vorlesen durfte, da man den Einheimischen das nicht zumuten könne, fand sie beleidigend. Sie kürzte also Bruchstücke, Halbsätze – so entstand ein neuer Text mit derselben Aussage und dem gleichen literarischen Anspruch.

Am 14. April 2015 wäre sie 50 Jahre alt geworden. Im Salzburger Literaturhaus haben wir ein kleines Fest für sie veranstaltet. Wäre sie am Leben, hätte ganz Salzburg mit ihr gefeiert, das hätte sie schon organisiert, und »Salzburg heute« hätte sie von ihren nächsten Buch- und Filmplänen erzählt, und sie hätte gestikuliert und gelacht – so wie wir sie alle in Erinnerung haben.

Mit freundlicher Genehmigung der Autorin und des Jung und Jung Verlages.
Jochen Jung und Arno Kleibel (Hrsg.): Menschen aus Salzburg. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2016. 298 Seiten, 22 Euro - jungundjung.at
Offiziell präsentiert wird „Menschen aus Salzburg“ heute Dienstag (8.3.) als Beitrag zum Jubiläumsjahr Salzburg 20.16
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