Wenn man es genau nimmt, fallen einem ja doch vor allem die „Dialektgedichte“ ein. Welche Kenntnis sich nach „nua ka schmoez ned“, „i bin a ringlsgschbüübsizza“ und „kölaschdiang“ - also den allerersten ersten Gedichten im Zyklus - aber auch fast schon wieder erschöpft. Und auswendig? Nicht einmal „Blauboad 1 und 2“ und „Kindafazara“ so richtig und ohne schwindeln.
ka ruaDas "Requiem Viennense" gehört nun zum ganz besonders Eleganten, ganz besonders Bösen, mit ganz besonders schwarzer Tinte geschriebenen. Aber niemand ist H.C. Artmann deswegen je böse gewesen. Oder? „saf und oschn s nutzt ka woschn“ - eingängiger und beängstigender sind auch die katholischsten Höllenvorstellungen nicht. Die Kirche bietet immerhin die Möglichkeit zur Reinigung an. H.C. Artmann nicht. Abgründe, in die zu blicken man die Gedichte in vierter Auflage vor Augen haben musste? Entwicklungsfortschritt also möglich? Wie wird das erst bei der sechsten Auflage.
Ob die kommenden Generationen schon so weit sind? Bei den „Kindergedichten“ gilt es nach wie vor aufzupassen, wie ein Lüchslein, welches Ströphlein man welchem Kindlein zumutet - ohne Schlafstörungen oder Traumata zu verantworten.
EINE MAUS, EINE MAUSLieber nicht…
„ein büchlein zaubersprüchlein“ traut man sich ohnehin kaum zu öffnen. Könnte funktionieren mit dem kohlschwarzen Wein: „gebt der anna was ab von den drei tropfen ich wünsch ihr das grab“. Wer freilich einen Teufel zu bannen hat, ist hier richtig:
...tu mich nicht peckenDas geniale an vielen Texten Artmanns ist ja, dass man Tonfall und Rhythmus zu kennen glaubt. Bei „Es fällt aus alten Briefen, so manches gilbe Wort“, dem letzten Stück „Aus meiner Botanisiertrommel“ ist das leicht, auch wenn man nicht gerade eine „Winterreise“ mit Lindenbaum gehört hat. Gemein, dass einen die meisten der restlichen 39 Gedichte einen Haufen Zeit kosten beim Dechiffrieren und Navigieren, weil sie auf Abwege und dünnes Eis locken. Wie das Gedicht auf S 583, das so harmlos beginnt „Er kommt aus London und sie ist aus Brest…“ Die Literaturgeschichte zwischen Edgar Allen Poe und Jules Verne ist da drin verpackt, und weil Tristan da Cunha auch vorkommt, muss man annehmen, dass Raoul Schrott auch Artmann gelesen hat.
Lieber noch einmal zurück zum Theologisch-Biblischen bei H.C. Artmann und etwa zum Gedicht auf Seite 388: 1800 Seiten Josephs-Roman auf zwei Seiten Dünndruck.