Es ist aber auch ein Buch, das man nicht aus der Hand legt, bevor die letzte Seite nicht umgeblättert ist. Es ist ein bitterböses, trauriges, empörendes Märchen, das Najat El Hachmi in ihrem Roman „Der letzte Patriarch“ erzählt. Ein sehr reales Märchen changierend zwischen der arabischen und der westlichen Welt.
Rein inhaltlich ist es spannend, aus erster Hand Einblick zu erhalten in eine fremde Lebensart, über deren Kultur-, Geistes- und Sozialgeschichte man tatsächlich gar nichts weiß. Hochzeitsrituale, Erziehungsgrundsätze, Ernährung: Najat El Hachmi erzählt viel, vermittelt Lokalkolorit - ohne jemals auch nur für Augenblicke „folkloristisch“ zu werden.
Das verhindert schon der Erzählerinnenstandpunkt: „Er wird die Mutter angestarrt haben, ohne sie zu sehen, wird die Zähne zusammengebissen und den Kiefer hin und herbewegt haben, wie er es häufig tat, während er darüber nachdachte, wie er es anstellen könnte, um seinen Willen durchzusetzen.“
Najat El Hachmi rechnet ab, mit dem „Letzten Patriarchen“. Sie erzählt von der Emanzipation einer jungen Frau von ihrem Vater, die sich in den verhängnisvollen Kreislauf einer ebenso sinn- wie lieblosen Ehe bereits hineinziehen hat lassen. Warum es für den endgültigen Befreiungsschlag kein anderes Mittel als den eines sexuellen Verhältnisses mit dem eigenen Onkel geben konnte, ist vermutlich nur aus dem Kontext der „anderen“ Kultur heraus zu begreifen.
Najat El Hachmi, geboren 1979 in Marokko, aufgewachsen in Katalonien, hat erstmals 2004 mit dem vieldiskutierten Essay „Jo també sóc catalana“ (Auch ich bin Katalanin) von sich reden gemacht. 2008 gewann sie mit „L’últim patriarca“ überraschend den Premi Ramon Llull, den wichtigsten und höchstdotierten katalanischen Literaturpreis. Der Roman wurde bereits in zahlreiche Sprachen übersetzt.