Zart sein zur Zartschrecke

BUCHBESPRECHUNG / DIE HEUSCHRECKEN SALZBURGS / HAUS DER NATUR

22/11/10 „Heuschreckenfonds.“ So weit kann das kräftigste Heupferd nicht hüpfen, wie hoch Ingeborg Illich die Wände geht, wenn sie das Wort nur hört. „Heuschreckenplage“ kommt wengstens in der Bibel vor. Wie „Heuschrecken und wilder Honig“. Johannes der Täufer müsste heutzutage freilich verhungern. Und moderne Kinder haben auch kaum eine Chance, Heuschrecken zu entdecken - ganz zu schweigen, von fangen und springen lassen.

Von Heidemarie Klabacher

altFreilich gibt es Heuschreckenplagen. Die letzte in unseren Breiten war 1338. Damals haben die Bauern im Lungau die letzten nicht abgefressenen Blüten um hohe Stangen gewunden und in die Kirchen von Mur und Zederhaus getragen. Die Prangstangen sind geblieben. Die Heuschrecken werden immer seltener.

Im Gegensatz zu lieblichen Schmetterlingen oder raren Blumen haben die talentierten Springer im Arten- und Umweltschutz kaum eine Lobby. Dabei sind gerade Heuschrecken ein wichtiger Indikator für den Zustand der Natur. Es gibt sie vom Hochgebirge bis zum Hochmoor - und ihre Namen reichen vom „Gemeinen Grashüpfer“ bis zur „Gelbstreifigen Zartschrecke“.

„Heuschrecken sind Bio-Indikatoren für Magerwiesen und Feuchtstandorte. Sie sind wichtig für die ökologische Bewertung von Lebensräumen.“ In weiten Teilen Mitteleuropas habe man das bereits erkannt, es gebe inzwischen Artenschutzprogramme auch für Heuschrecken. Nicht bei uns.

Durch intensive landwirtschaftliche Nutzung, mit bis zu sechs Ernten pro Jahr und viel zu viel Gülle, verdichtet sich der Pflanzenwuchs und weniger Sonne erreicht den Boden: „Das Mikroklima verändert sich total. Der Lebensraum für Heuschrecken, aber auch viele andere Insekten, wird kälter.“ Das sei in Zeiten der Klimaerwärmung eine paradoxe Situation, erklären die Expertinnen und Experten vom Haus der Natur. Die empfindlichen Heuschrecken-Larven können sich in der bodennahen Kühle kaum noch entwickeln. Den Überlebenden machen die Mähmaschinen den Garaus.

Darüber hinaus seien Heuschrecken „Spezialisten“, die in jeweils oft ganz kleinen Bereichen optimale Bedingungen finden, sei es in Sumpf oder Moor, im Hochgebirge, auf dem „Lungauer Halbtrockenrasen“ oder am einfachem „Wiesenrand“. Aber gerade diese Lebensräume gehen verloren. Dabei wäre es schon hilfreich, „wenn man die Wiesen wenigstens nicht bis zum letzten Grenzstein abmähen würde“.

Heuschrecken zeichnen sich durch ihr Sprungvermögen aus, aber besonders durch ihre „Lauterzeugung“: Verschiedene Heuschrecken können verschiedene Melodien. „Man hört das Zirpen und weiß genau (zumindest als Heuschreckenforscher):alt Das ist der Nachtigallgrashüpfer oder der Wiesenzirper. Aber auf einer monotonen Intensivwiese wird man gar nichts mehr hören.“

Diese komplexen Zusammenhänge, weit über das Heuschreckenleben hinaus, haben Ingeborg Illich, Sabine Werner, Helmut Witmann und Robert Lindner in ihrem Buch „Die Heuschrecken Salzburgs“ aufgezeigt. Welche Heuschrecken es wo (noch) gibt, welche bereits ausgestorben sind und wie stark gefährdet die noch erhaltenen Arten sind - all das ist für den reich bebilderten und liebevoll gestalteten Band akribisch erhoben und dokumentiert worden. "Die Heuschrecken Salzburgs" sind der Band 1 der "Salzburger Natur-Monographien", mit denen das Haus der Natur jeweils abgeschlossene Forschungsbereiche präsentieren will. Die nächsten Bände gelten voraussichtlich Farnpflanzen oder Amphibien.

altWiesen sind längst nur noch „Ertragsfläche“, kein „Lebensraum“ mehr: „Wir übernehmen zwar Patenschaften für den Schutz des Regenwaldes, aber vor unserer Haustür geht das Artensterben genau so vor sich.“ Arten- und Lebensraumschutz sind denn auch die Ziele des Forscherteams. Die Kies- und Sandbänke an der Salzach vor der Verbauung waren solche Gebiete für ganz besondere Arten. Die Sandbänke der Taugl waren bis vor kurzem Heimat für die „Blauflügelige Ödlandschrecke“: Aber sie wurde vor zwei Jahren zuletzt gesehen. An der Taugl hätten bereits der Bau der Tauern-Autobahn, aber auch die intensive Freizeitnutzung heute, das Ökosystem drastisch verändert.

Abgesehen vom Wert der Artenvielfalt und dem Ziel der Erhaltung von Naturlandschaften („Im Bundesland Salzburg gibt es nach der Umstellung auf Silo kaum mehr einen intakten Heustadel“): Heuschrecken sind nicht nur keine Schädlinge. Viele von ihnen sind Nützlinge, die ihrerseits Schädlinge fressen.

Ja schon: Die „Europäische Wanderheuschrecke“ (die von der Ägyptischen bzw. auch von der Lungauer Plage weiland) kann sich tatsächlich stark vermehren: „Wenn das Klima passt. Aber das war damals zu der Zeit, als man in Salzburg Wein angebaut hat.“ Die ausgezeichneten Flieger können eine „Spannweite“ von bis zu zehn Zentimetern erreichen. Da konnte man schon das Fürchten lernen. Noch immer würden einzelne Exemplare eingeschleppt, erzählt Ingeborg Illich, die sich seit mehr als dreißig Jahren in ihrer Forschungsarbeit den Heuschrecken widmet. So sei sie einmal angerufen worden, als ein Autobesitzer in seinem neuen Fiat von einem überdimensionierten Heuschreck erschreckt worden war. So große „Heupferde“ reiten auf heimischen Wiesen und Feldern längst nicht mehr.

Inge Illich, Sabine Werner, Helmut Wittmann und Robert Lindner: Die Heuschrecken Salzburgs. Band 1 der Salzburger Natur-Monographien. 256 Seiten. Das Buch kostet 29,70 Euro und ist derzeit im Museumsshop im Haus der Natur erhältlich und wird in Kürze auch im Buchhandel aufliegen.
Bilder: Haus der Natur