Los! Traut euch!
BUCHBESPRECHUNG / KARIN PESCHKA
27/11/20 Fanni fährt davon. Kehrt nicht zurück. Eine Kurzschlussreaktion. Mit weitreichenden Folgen, versteht sich. Karin Peschka erzählt in ihrem Roman Putzt euch, tanzt, lacht eine Geschichte von Alltagsflucht, Ausbruch und Begegnung. Eine kleine Utopie auf ungewisse Zeit. Eine Hoffnung.
Von Judith Ralser
Fanni fährt davon. Es ist eine Flucht vor ihrem Mann, der in seinen Routinen lebt, ein Tag wie andere. Eine Flucht vor der Tochter, die sich an der schönsten Stelle des Gartens ihr eigenes Haus bauen und die Eltern zur Baustellenkontrolle einspannen will. Eine Flucht vor der Arbeit im Supermarkt, stellvertretende Leiterin, Aufstiegschancen nicht vorhanden, die Rente irgendwo am Horizont. In Fanni ist es unruhig. Sie ist eine Getriebene, die der Alltag und die Enge des normalen, erwartbaren Lebens eingeholt hat, zum zweiten Mal im Leben. Nicht mehr zufrieden sein, nicht mehr akzeptieren, sondern sich auflehnen und sich noch einmal fühlen wie vor Jahrzehnten, „ein siebenundfünfzigjähriges, ein altes Mädchen“.
Fanni fährt zum Erstgespräch bei einem Therapeuten, und fährt bewusst an der Ausfahrt vorbei, kommt nie im Therapiezentrum an. Ihre Probleme nimmt sie mit, als sie weiter zieht, in den Pinzgau, nach Wien, nach Italien, in die Vogesen, am Ende zurück in den Pinzgau. Sie trifft auf Menschen, von ihrer Jugendliebe bis hin zur Ärztin, vom Schriftsteller bis hin zum Oberstudienrat in Rente. Sie alle zusammen bringen Fanny auf die Idee einer Alten-Alm-WG in Form einer geerbten Hütte...
Erzählt werden die fein gearbeiteten Abenteuer aus Fannis Perspektive. Rückblenden springen von Begegnung zu Begegnung bis in die Gegenwart, überspringen Wochen und Monate. Sie verbinden sich langsam zu einer Geschichte, ohne alle Zusammenhänge zu klären. Die Sätze brechen ab, ergänzen einander. Die Punkte sind wie Pausen gesetzt, die die Sprache gliedern. Dialoge, Briefe, Unterbrechungen, Gedanken in Klammern gesetzt und eingeschoben. Selbstreflektiert und entlarvend ist die Sprache, beinahe allwissend und mit ironischem Unterton den eigenen Erfahrungen und denen der anderen gegenüber.
Neben eine neue Normalität mit Mikrochips unter der Haut, die Ausweise und Geld bündeln, stellt die Robert-Musil-Stipendiatin, die mit ihrem Roman auf der Shortlist zum Österreichischen Buchpreis 2020 gestanden ist, Visionen von Menschen, die sich solchem „Fortschritt“ verweigern. Ihm nicht das Beste abgewinnen können und einen anderen Weg gehen wollen. Menschen, die sich gerne in Anachronismen begeben, die „ewig Gleichgebliebenes”, ohne es zu verklären, zu ihrem Ziel machen. Sie versuchen ihr Glück in und mit einer Gemeinschaft, die sich der Welt nicht verschließt, und doch von ihr abgetrennt in einem eigenständigen Kreis zueinander gefunden hat.
Karin Peschka entwickelt eine kleine Utopie auf ungewisse Zeit. Eine Hoffnung. Und sie halten sich an Rimbauds Worte: „Parez-vous, dansez, riez.“ Putzt euch, tanzt, lacht.
Karin Peschka: Putzt euch, tanzt, lacht. Roman. Otto Müller, Verlag Salzburg 2020. 309 Seiten, 23 Euro – auch als E-Book erhältlich – www.omvs.at
Bilder: Otto Müller Verlag / Kurt Kaindl (1)