Der „Stargeiger“ des Wiener Biedermeiers
BUCHBESPRECHUNG / JOSEPH MAYSEDER
18/02/20 Wer ist Joseph Mayseder? Manch einer mag sich an den Beitrag im Pausenfilm zum Neujahrskonzert 2018 erinnern. Und Geiger werden ihn als einen der Begründer der Wiener Geigenschule kennen.
Von Oliver Schneider
Mayseders Bedeutung für die österreichische und vor allem die Wiener Musikgeschichte unterstreicht aber schon, dass gleich hinter dem noblen Hotel Sacher seit 1876 eine Gasse nach ihm benannt ist. Und diese befindet sich nur einen Katzensprung entfernt von der Staatsoper als Nachfolgeinstitution der k. k. Hofoperntheater, in deren Orchester Mayseder seit 1810 Konzert- und Solospieler war.
1789 in Wien geboren und 1863 ebendort gestorben, war Mayseder unter anderem Schüler von Ignaz Schuppanzigh, in dessen Streichquartett er ab 1804 die Zweite Geige spielte. Es kann kein Zufall sein, dass nun ein Wiener Sekundgeiger eine umfassende Monografie über ihn verfasst hat. Raimund Lissy, seit 1993 Stimmführer der Zweiten Geigen bei den Wiener Philharmonikern, entdeckte seine Leidenschaft für Mayseder anlässlich eines Konzerts zu dessen 150. Todestags. Akribisch recherchierte er seitdem weltweit nicht nur die Biographie des Geigers und Komponisten, eingebettet in den zeitgenössischen Kontext, sondern vor allem alles rund um seine rund 70 gedruckten Werke, Zuschreibungen und Balletteinlagen. Über 900 Bearbeitungen zweigen, wie hoch geschätzt Mayseder zu seinen Lebzeiten war. Lissy hat sämtliche Aufführungsdaten von Mayseders Werken, seine Auftritte als Solist, Orchestermusiker, Dirigent und Kammermusiker sowie eine Vielzahl von Kritiken zusammengetragen, so dass ein umfassendes Werk- und Auftrittsverzeichnis entstanden ist.
Eine Fülle von mehrheitlich wertungsfreien Informationen finden sich auf über 700 Seiten, die dem Musikforschenden, Musiker oder interessierten Laien die nötige Basis geben, um sich ein Bild über das Wiener Universaltalent zu machen. Damit leistet die Monografie einen wichtigen Beitrag zur Dokumentation der Wiener Musik- und Kulturgeschichte zwischen Klassik und Spätromantik.
Vor die Wahl gestellt, eine internationale Virtuosenkarriere einzuschlagen oder in Wien zu bleiben, entschied sich Mayseder für das letztere und wurde so zum „Stargeiger“ des Wiener Biedermeiers. Im Londoner The Athenaeum war 1844 über ihn zu lesen: „He is, perhaps, the best specimen, of Vienna style now to be heard (…).“ In seinem vierten Lebensjahrzehnt verlor er aber die Freude an solistischen Auftritten und widmete sich immer mehr der oft eigenen Kammermusik.
Der Buchautor macht sich übrigens auch mit seinen Kammermusikensembles um die Wiederaufführung von Mayseders Kompositionen verdient. Einiges wurde auch schon auf Tonträger eingespielt. Warum Mayseders Werke heute nurmehr selten den Weg auf die Konzertpodien finden, wäre eine interessante Frage.
Abgerundet hat Lissy seine Arbeit mit einem bunten „A-Z“, in dem man Hintergründiges über den Musiker, aber auch ganz Privates erfährt. Informationen zum Beispiel über seine örtlich sehr beschränkten Ausflugsziele bis Pressburg und in Österreich, Urlaube in Hütteldorf (!), aber auch über Ludwig van Beethovens hohe Wertschätzung, seine heute im Besitz der Juilliard School in New York befindliche Guarneri del Gesù und des Geigers Talent im Umgang mit den Finanzen.