Piefke Saga und irisches Intermezzo

RAURISER LITERATURTAGE / BUCHBESPRECHUNG / MITTERER

03/04/18 Der jüdische Schauspieler wird von den Nazis von der Bühne gebuht und kehrt verkleidet als arischer Naturbursch und unverdorbenes Theatergenie auf die Bretter zurück, die er zuletzt mit der Bürste geschruppt hat… „In der Löwengrube“ heißt die düstere Komödie. Ihrem real-historischen Hintergrund und ihrer Entstehung gilt auch eine Episode in Felix Mitterers Autobiographie „Mein Lebenslauf.“

Von Heidemarie Klabacher

Erst kürzlich, am 15. März – genau achtzig Jahre nach dem Tag, an dem Österreich es für gut befand, auf dem Heldenplatz jubelnd einen „Führer“ zu empfangen – feierte „In der Löwengrube“ bejubelte Premiere im Theater in der Josefstadt.

Ein sich nicht gerade sträubender, aber wie immer zurückhaltender und so überaus bescheiden auftretender Felix Mitterer wurde nach der Vorstellung auf die Bühne gebeten, um sich zu seinem „Siebziger“ vom Wiener Kulturstadtrat Mailath-Pokorny mit dem Goldenen Verdienstzeichen der Stadt Wien auszeichnen zu lassen. Mitterer erzählte ein wenig von der Entstehung seines Stücks und den historischen Ereignissen, die sich 1936 auf den Brettern genau unter ihm ereignet hatten.

In Auftrag gegeben hat das Stück 1994 Otto Schenk, damals Direktor an der Josefstadt, der den jüdischen Schauspieler Leo Reuss – im Stück Benedikt Höllrigl – sogar selber spielen und seinen eigenen Tiroler Schützenhut verwenden wollte. Im Winter 1995/96 war das Stück fertig geschrieben und kurz darauf von Otto Schenk „als Beleidigung für die Josefstadt“ auch schon abgelehnt gewesen. Der jetzige Josefstadt-Direktor, Herbert Föttinger, erzählte beim Festakt für Mitterer, dass es Otto Schenk später schwer bereut habe, zwei Stücke abgelehnt zu haben: „Meisterklasse“ von Andrea Eckert und „In der Löwengrube“ von Felix Mitterer. Dieser kennt natürlich die Story von der Schenk’schen Reue und schreibt im Buch: „Ich bin dir eh nicht bös, Herr Direktor. War es nie.“

Allein auf den wenigen Löwengrube-Seiten zwischen Auftrag/Ablehnung/Uraufführung und Triumph (am Volkstheater) gibt Mitterer einige wunderbare Einblicke in sein eigenes „Irisches Tagebuch“, denn die „Löwengrube“ ist in Irland entstanden: „Chryseldis hatte schon lange vorgeschlagen, für eine Weile ins Ausland zu gehen, weil wir als Künstler ja frei waren und überall arbeiten konnten. Außerdem ging es ihr auf die Nerven, dass ich auf der Straße, in jedem Wirtshaus, auf die ‚Piefke-Saga‘ angesprochen wurde, was ein ungestörtes Privatleben tatsächlich erschwerte (mich aber erfreute, ich gesteh’s).“ So lautet der Beginn des Kapitels „Irland: Schreiben im Land der Dichter“, das die Jahre 1995 bis 2010 in Felix Mitterers Leben und Schreiben umfasst. In diese Jahre fällt die „Löwengrube“.

Wie er sich mit „Ulysses“ auf Irland vorbereitet und unbrauchbares Schulenglisch mit Hilfe von Installateur und Elektriker aufgemöbelt hat; wie Mitterer die politische Situation auf den Straßen Dublins kennen gelernt, während die IRA die dortigen Drogendealer das Fürchten gelehrt hat; wie er mit der Familie an der „Dublin Riviera“ das Cottage besucht, in dem Heinrich Böll DAS „Irische Tagebuch“ geschrieben hat; wie die Familie von der Stadt auf’s irische Land übersiedelt ist und fürchten musste, dass das Haushälterehepaar ermordet und in einer Fensternische von „Castlelyons House“ eingemauert worden ist… All das ist voller Namen, Daten und Fakten und zugleich voller Poesie und schrägem Humor. Auch wenn seine Frau sich in Irland nie wirklich heimisch gefühlt und dort nie ein Bild gemalt habe: „Zum Schreiben war Irland ideal.“

Produktionen, Aufführungen, Inszenierungen, Stücke, Filme, Drehbücher… „Mein Lebenslauf“ ist auch ein detailreicher Überblick über das umfassende Schaffen Mitterers (auch als Schauspieler, wie etwa ganz früh, 1979, als Schiele im Film von John Goldschmidt). Geradezu eine Insel der Ruhe ist das Kapitel „Chryseldis. Malerin“. Privates, auch der Tod von Chryseldis Hofer-Mitterer, wird mit großer souveräner Offenheit geschildert, Distanz dabei immer gewahrt.

Sechs Seiten umfasst allein das Namensregister: Dieser „Lebenslauf“ ist auch ein Nachschlagewerk zu  Geschichte, Kultur-, Literatur-, Film- und Theatergeschichte der Gegenwart. Das Werkverzeichnis auf den Stand 2018 hilft bei der Orientierung und wartet geradezu auf alles weitere, was dieses reiche Dichterleben noch hervorbringen wird.

Felix Mitterer: Mein Lebenslauf. Haymon Verlag, Innsbruck 2018. 527 Seiten, 29 Euro – www.haymonverlag.at
Felix Mitterer liest am Samstag (7.4) um 19 Uhr im Rahmen der Rauriser Literaturtage im Gasthof Grimming aus seinem Lebenslauf - zusammen mit Monika Helfer und Peter Henisch www.rauriser-literaturtage.at 
Bild: RLT/fotowerk-aichner