„Schreiben Sie das auf!“
BUCHBESPRECHUNG / FEDERMAIR / ROSENBRECHEN
12/12/16 Surfleisch mit Sauerkraut, ausgerissene Federn beim Hühnerrupfen, die beklemmende Schulzeit im katholischen Stiftsgymnasium – Leopold Federmair nimmt den Leser mit auf einen Streifzug durch seine Kindheit in der österreichischen Provinz.
Von Christina König
Durchs Schreiben einen Neuanfang wagen, Kindheitserinnerungen ans Licht holen und sich so von ihnen befreien – das ist der Wunsch, der Drang, der Leopold Federmair dazu bewegt hat, diesen Erzählband zu schreiben. Sieben Erzählungen von ganz unterschiedlicher Länge, zwei Seiten oder einundsiebzig, zeigen in leuchtender Sprache alle Facetten einer Kindheit, deren kleinster gemeinsamer Nenner die österreichische Provinz ist. Ob vom Raufen im Brennnesselgestrüpp erzählt wird, vom gewaltsamen Tod eines Wirts oder von den wulstigen, feuchten Lippen eines Pater Johannes, der sich von den jungen Buben anfassen lässt und ihnen weismacht, Gott würde das so wollen – Federmair findet für jede Erzählung eine eigene, einzigartige Sprache.
Manche Erzählungen, wie „Beim Schmiedl“ leben von ihrer ungewöhnlichen Sprachmelodie. Sätze wandern über ganze Seiten, voll von Strichpunkten, Doppelpunkten, Aufzählungen ohne Kommas oder auch mal rechtsbündig gesetzten Zeilen; ein Sprachbild jagt das andere und oft hat man beim Lesen das Gefühl, sich in fantastischen Assoziationsketten des Autors zu verlieren: „Plakate Leuchtkörper Schatten, Rinnsteine Kleiderstoffe Liniengewirr Abstraktionen, Schmetterlingsflattern Ärmelflattern Schweißtropfen, die wie auf Kommando durch die Poren traten, in Seidenpapier eingewickelte Apfelbirnen, ein weißer Nacken und der hervortretende letzte Wirbel der Wirbelsäule und das Gesicht ein leichtes lispelndes Blatt, das jeden Augenblick fallen wird, fallen wird: Wiederholungen des Immergleichen, vor dem die geringsten Abweichungen gedeihen …“
Andere Erzählungen, wie „Schwedenbomben“, sind klarer und weniger experimentell, dafür umso eindringlicher. „Schwedenbomben“ erzählt von einem langen nächtlichen Gespräch zwischen dem Ich-Erzähler Theo und der Mutter eines ehemaligen Schulkameraden, der sich nach sexueller Belästigung im Stiftsgymnasium selbst umgebracht hat. „Schreiben Sie das auf!“, fordert sie den Ich-Erzähler auf, und das tut er: Der letzte Satz der Erzählung lautet: „Dann begann ich zu schreiben: ‚Es kommt vor, daß sich ein Zuhörer in eine der vordersten Reihen setzt …‘“, womit er gleichzeitig einen Bogen zum ersten Satz der Erzählung schlägt. Alle, die die Westbahnstrecke gut kennen, werden sich über die vielen bekannten Ortschaften freuen, an denen Theo auf seinem Heimweg vorbeikommt: der Wallersee mit dem Bergpanorama dahinter, Salzburg, wo man schon „Mohnweckerl“ sagt und nicht mehr „Mohnflesserl“, und Attnang-Puchheim, über dessen Doppelnamen Theo nachdenkt.
Eine luftig-flockige Feiertagslektüre ist „Rosen brechen“ nicht. Soll es aber auch gar nicht sein. Wenn man Zeit und Geduld investiert, lohnt sich das Lesen – vor allem, wenn man sich in der einen oder anderen Kindheitsanekdote wiedererkennt. Ob es Federmair übrigens wirklich gelungen ist, sich von seinen Erinnerungen zu befreien, das bezweifelt er im Vorwort selbst. Vielleicht ist das aber auch überhaupt nicht möglich – oder gar wünschenswert: „Wenn wir uns neu erfinden, was wir von Zeit zu Zeit tun sollten, kann uns der Rückblick als Trampolin für Kunstsprünge dienen.“ Und Kunstsprünge macht Federmair auf alle Fälle.