Schlaflos in Berlin
SALZBURGER FILMWOCHENENDE / NACHTSCHICHTEN
08/11/11 Die Präsentation von Ivette Löckers „Nachtschichten“ war zwar eine Salzburg-Premiere – aber eine vor überschaubarer Publikumskulisse. Das war bezeichnend für das erste „Salzburger Filmwochenende“ in der Stadtbücherei und der TriBühne Lehen.
Von Andreas Öttl
An den Erfolg des Salzburger Film-Tags im „Das Kino“ konnte das Filmwochenende trotz der guten Organisation der Veranstalter und trotz der Beteiligung der wichtigsten Salzburger Filminstitutionen leider nicht anknüpfen. Neben einer leider nur mäßig besuchten Messe im Eingangsbereich waren auch diverse geförderte Filme zu sehen.
Salzburg-Premiere hatte im Rahmen des Wochenendes unter anderem „Nachtschichten“ von Ivette Löcker, der bei der heurigen Diagonale als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde. Die Regisseurin war ebenso wie einige Salzburger Politiker bei der Vorstellung anwesend, und knapp vierzig Zuschauer. Der Film transportierte das zum Großteil aus der sehr überschaubaren Salzburger „Filmszene“ bestehende Publikum vom idyllischen herbstlichen Salzburg ins nächtliche, tiefwinterliche Berlin.
Die Regisseurin interessiert sich vor allem für jene Personen welche die bürgerliche Mehrheit wohl als Menschen am Rande der Gesellschaft bezeichnen würde. Nachtwärter, Obdachlose, Sprayer, DJs und einsame Wanderer bevölkern die unwirtliche, mitunter trostlose Umgebung. Ivette Löcker agiert unaufdringlich und lässt ihre Protagonisten für sich sprechen. Sie verzichtet auf jegliche Art von Polemik. Entstanden ist ein einfühlsames Porträt dieser meist gescheiterten Existenzen, die dennoch ihren Lebensmut noch nicht ganz verloren zu haben scheinen. Es wird stets eine emotionale Distanz zu den Figuren bewahrt, weshalb man ihnen nie wirklich nahe kommt. Genau dies ist Teil des Regiekonzepts, denn nur so wird jene Einsamkeit spürbar, die viele Großstadt-Bewohner nur allzu gut kennen.
Visuell ist der wohl mit einem niedrigen Budget realisierte Film zwar nicht sonderlich spektakulär, er hat keine so eindringlichen Bilder zu bieten wie etwa Nikolaus Geyrhalter’s thematisch verwandter Film „Abendland“. Dennoch gelingt es der Regisseurin, mit vergleichsweise einfachen Mitteln eine spezifische Atmosphäre aufzubauen und dem Zuseher mehr und mehr das Gefühl zu geben, selbst durchs nächtliche Berlin zu streifen.
Als Berlin-Film, aber definitiv nicht als „Sinfonie einer Großstadt“ bezeichnet Ivette Löcker ihren Film in Anspielung auf den stilisierten Stummfilm von Walter Ruttmann aus dem Jahr 1927. Und auch wenn der Film im Grunde in jeder Stadt spielen könnte, so wird doch deutlich, dass in Berlin auch die Nächte anders sind als an anderen Orten. Ein realistisches Portrait von Großstadt-Anonymität ist ihr mit ihrem Film jedenfalls gelungen.
„Nachtschichten“ zeigt eine Stadt die auch nachts niemals wirklich schläft. Richtig zu leben scheint sie in diesen Stunden fernab jeglicher Großstadthektik aber auch nicht. Vielmehr ist sie – ebenso wie die Protagonisten – in einem Schwebezustand gefangen...