Spätwerk eines der ganz Großen

FILMKRITIK / ALMODÓVAR / THE ROOM NEXT DOOR

05/11/24 Nach seinem autobiographisch geprägten Meisterwerk Dolor y Gloria 2019, in dem ein gealterter Regisseur über sein Leben reflektiert, konnte man sich durchaus die Frage stellen, was Pedro Almodóvar darauf noch folgen lassen kann. Doch sein Schaffenshunger ist ungebrochen.

Von Andreas Öttl

Nach Madres paralelas 2021 liefert er nun seinen ersten Spielfilm in englischer Sprache ab, der ihm in Venedig zum ersten Mal den Hauptpreis bei einem Major-Festival einbrachte. The Room Next Door ist ein mit souveräner Eleganz inszenierter Film, der das Thema Sterbehilfe mit erfrischender Leichtigkeit, aber dennoch würdevoll behandelt.

In ihrer Jugend waren Ingrid (Julianne Moore) und Martha (Tilda Swinton) als Mitarbeiterinnen derselben Zeitschrift eng miteinander befreundet. Doch dann sorgte das Leben dafür, dass sie sich aus den Augen verloren. Inzwischen arbeitet Ingrid als Autorin autofiktionaler Werke, Martha als Kriegsreporterin. Nachdem sie jahrelang keinen Kontakt mehr hatten, treffen die beiden Frauen in einer schwierigen, aber auch seltsam schönen Situation wieder aufeinander. Martha kämpft einen aussichtlosen Kampf gegen den Krebs und trifft daher die Entscheidung, sich eine (in den USA illegale) Euthanasiepille zu besorgen. Ingrid soll sie in ihren letzten Wochen begleiten.

Die ersten Szenen des Films, die in New York spielen, wirken noch etwas künstlich – als wäre die Begeisterung von Almodóvar, dort zu drehen, etwas mit ihm durchgegangen. Die Sets in einem Krankenhaus und Wohnungen erinnern etwas zu sehr an glanzvolle Hollywood-Produktionen der Vergangenheit und die Verbindung mit Almodóvars charakteristischer Vorliebe für Design und ausgefallene Kostüme wirkt dabei nicht so stimmig wie bei seinen in Spanien gedrehten Melodramen.

Doch spätestens der Schauplatzwechsel in ein abgelegenes Haus auf dem Land gibt dem Film den passenden Raum, seine ganze Größe entfalten zu können. Auch die beiden großartigen Schauspielerinnen kommen erst im Verlauf des Films so richtig zur Geltung und verleihen ihm emotionale Authentizität.

Die Erfüllung des Wunsches von Martha, über das Ende ihres Lebens frei entscheiden zu können, wird in der Form des Films repliziert. Dieser strahlt Freiheit und Lebendigkeit, aber auch Ruhe aus. Sowohl die exquisiten Bilder von Eduard Grau als auch die verführerische Musik von Alberto Iglesias sorgen dafür, dass The Room Next Door zwar ein melancholischer, aber kein deprimierender Film ist. Dennoch spart Almodóvar nicht aus, dass die im Film geschilderte Situation für alle Beteiligten schwierig ist und die Lebenslust zwangsläufig abnimmt, wenn man dem Tod ins Auge blickt.

Die bunte Farbpalette des Films gibt implizit auch einen Kommentar zur psychologischen Wirkung von Farben und zu gewissen diesbezüglich herrschenden gesellschaftlichen Konventionen (etwa weißen Krankenhaus-Räumen und schwarzer Trauerkleidung) ab. Es ist bezeichnend und – was die visuelle Konzeption des Films betrifft – konsequent zu Ende gedacht, dass die Verhörszene, in der sich Ingrid gegenüber der Polizei für ihre Beihilfe zum Tod von Martha verantworten muss, die einzige im Film ist, die dunkel und bedrückend ist.

Die über den (von John Turtorro gespielten) Ex-Freund der beiden Frauen abgehandelte Bedrohung der Welt durch den Klimawandel offenbart auch in dieser Hinsicht die freie Wahl des einzelnen Menschen, mit einer ausweglosen Situation umzugehen. Gerade in Bezug auf seine noch eher schrillen frühen Filme wurde Almodóvar mitunter vorgeworfen, Filme lediglich über seine Welt und seine eigenen Themen zu machen. Doch zunehmend zeigt sich ein gesellschaftspolitisches Bewusstsein, dass seinem Spätwerk nun noch eine zusätzliche Ebene gibt, die Pedro Almodóvars Status als einer der ganz Großen des europäischen Autorenfilms einzementiert.

Bilder: www.warnerbros.de