Und kaum ein Kinosaal auf diesem Planeten bietet eine so bezaubernde Atmosphäre wie der Hauptplatz „Piazza Grande“, wo jeden Abend bis zu 8.000 Menschen zu den Filmvorführungen unter freiem Himmel strömen. Darüber hinaus hat man in Locarno auch Respekt vor der Filmgeschichte: Jedes Jahr gibt es eine Retrospektive von Weltrang, welche heuer dem 100jährigen Jubiläum des Hollywood-Studios Columbia Pictures gewidmet war.
Der Wettbewerb der 77. Ausgabe, die am 17. August zu Ende gegangen ist, verlief für die heimische Filmbranche sehr erfreulich. Unter dem Vorsitz von Jurypräsidentin Jessica Hausner, die 1997 einst selbst in Locarno für ihren Kurzfilm Flora den Hauptpreis in der Sektion Pardi di Domani gewann, erhielt die ebenfalls aus Wien stammende Regisseurin Kurdwin Ayub für ihren neuen Film Mond den Großen Preis der Jury. Sie erzählt darin von einer ehemaligen Kampfsportlerin (gespielt von Florentina Holzinger), die Österreich verlässt, um drei Schwestern einer reichen jordanischen Familie zu trainieren.
Der Hauptpreis für den besten Film, der goldene Leopard, ging an die litauische Regisseurin Saulé Bliuvaité für ihren beeindruckenden Debütfilm Akiplėša (Toxic). Ihre eindringliche Darstellung des zerstörerischen Schönheitswahns weiblicher Teenager weiß vor allem auch auf formaler Weise zu überzeugen.
Die neuseeländische Regie-Legende Jane Campion, die heuer vom Festival für ihr Lebenswerk geehrt wurde, sah sich selbst zwar nie als Pionierin, wird Locarno aber wohl dennoch nicht nur wegen ihrem Preis mit einem Lächeln verlassen. Denn die Parallelen zwischen ihren eigenen experimentierfreudigen frühen Filmen und jenen der neuen Generation junger wilder Filmemacherinnen sind unübersehbar. In Locarno scheint es im Jahr 2024 nicht mehr nötig zu sein, über Quoten in der Filmindustrie zu diskutieren. Die weiblichen Stimmen im zeitgenössischen Kino sind zu stark, um ungehört zu bleiben.