Universelle Lesart des Bösen

FILMKRITIK / THE ZONE OF INTEREST

08/03/24 „Eigentlich“ wollte die deutsche Schauspielerin Sandra Hüller, niemals eine Nazi-Rolle annehmen. „Ekelhaft“ findet sie es, wenn Leute versuchen, die NS-Epoche nachzustellen und damit oft eine „Form von Glamour“ und ein „bestimmtes Gefühl von Macht“ wiederbeleben. Sie hat ja recht. Geschmacklos-geschmackvolle Filme zur NS-Zeit gibt es viele und nicht wenige wurden mit Preisen überschüttet.

Von Andreas Öttl

Obwohl nun auch The Zone of Interest unter anderem für fünf Oscars nominiert ist, ist der Film weit entfernt von den Konventionen solcher Retro-Melodramen. Der britische Regisseur Jonathan Glazer (Under the Skin) interessiert sich für die zeitlose Banalität des Bösen und findet dafür in seinem Film über den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß und seine Ehefrau Hedwig eindringliche und mitunter ungewöhnliche Bilder, während er das eigentliche Grauen im KZ, oft als in einem Spielfilm als unzeigbar bezeichnet, bewusst ausblendet.

Die freie Adaption des gleichnamigen Romans von Martin Louis Amis beleuchtet das Alltagsleben des Ehepaars Höß und seiner Familie, die in ihrem Bilderbuchheim direkt neben der Mauer des Vernichtungslagers ein äußerst privilegiertes Leben führen. Christian Friedel und Sandra Hüller brillieren als gefühlskalte, pflichtbewusste Menschen, die mehr noch als von der NS-Ideologie von der Erreichung persönlicher Vorteile getrieben zu sein scheinen. In manchen stillen Momenten zeigt sich in ihren leeren Gesichtern dennoch die Schuld, die beide auf sich geladen haben.

Die Tatsache, dass man als Zuseher die Geschehnisse im Lager nicht mitbekommt – diese werden lediglich über die unbehagliche Tonspur und Hintergrundgeräusche angedeutet – führt auch dazu, dass der Film eine universellere Lesart außerhalb des historischen Kontexts erlaubt. Man darf dabei – ohne den Holocaust zu verharmlosen – durchaus an die globale Elite von heute denken, für die Pandemien, Umweltkatastrophen und Kriege vor allem eine Einschränkung ihres rücksichtslosen hedonistischen Lebensstils bedeuten und die sich von den Problemen der restlichen Bevölkerung abschottet.

Die vielen Ebenen des Films zeigen sich aber etwa auch in einer dokumentarisch wirkenden Szene gegen Ende, welche Reinigungsdamen bei ihrer emotionslosen Arbeit im heutigen Auschwitz zeigt und die als Kritik an einer allzu musealen Betrachtung der Vergangenheit gesehen werden kann.

Die Effekt des Films ist vor allem auf die großartige formale Umsetzung zurückzuführen. Mit ungewöhnlichen Bildkompositionen, abstrakten Zwischensequenzen sowie Elementen, die ans Horror-Genre angelehnt und dennoch sehr subtil eingesetzt sind, erzeugen der Regisseur und sein kreatives Team eine starke, verstörende Atmosphäre, welche den Kontrast bildet zur bieder-beschaulichen Stimmung im Haus der Familie Höß. The Zone of Interest schreibt mit seinem ungewöhnlichen Schauplatz und seinem nüchternen Blick auf die Täter ein neues Kapitel was den Nationalsozialismus im Film betrifft. Seine Bedeutung darf dabei – unabhängig ob in der Oscarnacht Preise folgen werden – bereits jetzt ähnlich hoch eingeschätzt werden wie jene von Son of Saul, dem ungarischen Oscargewinner in der Kategorie „fremdsprachiger Film“ (nunmehr International Feature Film) aus dem Jahr 2016. Zu diesem kontrovers diskutierten Film, der aus radikal subjektiver Sicht das Leben eines KZ-Häftlings zeigt, bildet The Zone of Interest sowohl die Antithese wie auch das Komplementärstück.

Bild: www.constantinfilm.at