Aus dem Banlieu in die Klassik-Männerwelt

FILMKRITIK / DIVERTIMENTO

06/07/23 Während der sommerlichen Renovierungsphase zeigt Das Kino sein Filmprogramm im Oval im Europark. Üblicherweise werden Filme dort nur tageweise und in deutscher Synchronfassung gespielt. Vielleicht ist dies nun eine gute Gelegenheit, ein anderes, jüngeres Publikum erstmalig für Filmkultur in Originalfassung zu begeistern.

Von Andreas Öttl

Ein idealer Film dafür scheint Divertimento zu sein, der die Entstehungsgeschichte des gleichnamigen, in einem Vorort von Paris beheimateten Orchesters sowie die persönliche Geschichte der Gründerin Zahia Ziouani – gespielt von Oulaya Amamra – nacherzählt. Er beschreibt damit auch das Eindringen einer jungen Frau mit Migrationshintergrund in die elitäre, männlich dominierte und in diesem Fall im Zentrum von Paris verortete Klassikwelt. Die Filmhandlung ist fokussiert auf das Jahr 1995, in dem die Begegnung mit dem Dirigenten Sergiu Celibidache die junge Frau bestärkt, diesen Berufsweg zu verfolgen.

In Bezug auf das französische Kino im Jahr 1995 denkt man dabei unweigerlich an La Haine von Mathieu Kassovitz, der mit seinem schonungslosen (und ultra-maskulinen) Blick auf die Banlieus der Welt damals einen Schlag in die Magengrube versetzt hat. Divertimento hingegen blendet soziale Brennpunkte weitgehend aus, setzt auf Hoffnung statt Perspektivelosigkeit und zeigt ein positives Bild von Menschen aus den Vororten von Paris.

Leider gelingt es der Regisseurin Marie-Castille Mention-Schaar jedoch nicht so zu fesseln, wie man es von einem Film über die Leidenschaft für Musik erhoffen dürfte. Der inspirierenden Lebensgeschichte von Zahia Ziouani fehlen in der filmischen Umsetzung zum Großteil die inspirierten Momente. Spätestens gegen Ende wählt die Regisseurin den Weg in eine doch eher banale Sentimentalität. Verglichen etwa mit dem großartigen Drama Tár über eine von Cate Blanchett verkörperte fiktive Dirigentin fehlen hier auch die Ambivalenzen und Schattierungen in der Charakterisierung der Protagonistin.

Paradoxerweise ist es in Divertimento der alte weis(s)e Mann in der Gestalt von Sergiu Celibidache, großartig verkörpert von Niels Arestrup, dem die besten Momente des Films gehören. Möglicherweise hätte man Zahia Ziouani und ihrem künstlerischen Anspruch mit einem Dokumentarfilm über ihr Orchester (etwa nach dem Vorbild von Rhythm is it! mit Simon Rattle oder El Sistema mit Gustavo Dudamel) einen besseren Dienst erwiesen, und damit auch die Tatsache, dass in Frankreich (gemäß Einblendung am Ende des Films) nur vier Prozent Frauen am Pult stehen, besser thematisieren können. Letztendlich bleibt es aber dem individuellen Zuseher und seinem Weltbild überlassen, wie er den Film im Sommer 2023, in dem die Banlieus in Paris wieder brennen, sehen will. Man kann ihn als notwendiges Korrektiv oder als eine in der filmischen Dramatisierung etwas zu sehr idealisierte Utopie über die alle Grenzen überwindende Kraft der Musik betrachten.

Nächste Projektion im Oval am 13. Juli – www.daskino.at; www.oval.at
Bilder: Panda Lichtspiele Filmverleih GmbH