Warme Dusche ohne Regenmantel

IM KINO / PATERSON

05/12/16 25 Jahre ist es bereits her, dass Jim Jarmusch für „Night on Earth“ Hollywood-Größen per Taxi durch europäische und amerikanische Städte tuckern ließ. Für seinen aktuellen Film „Paterson“ steigt der Kult-Regisseur in einen gewöhnlichen Linienbus um. Am Steuer: „Star Wars“-Bösewicht Adam Driver. Er teilt mit seiner Heimatstadt denn Namen Paterson und einen Hang zur Lyrik.

Von Christoph Pichler

Gut eine Woche lang begleiten wir den feinfühligen Busfahrer auf seiner täglichen Routinetour – vom morgendlichen Erwachen neben seiner Frau Laura (Golshifteh Farahani) über die mit offenen Ohren und Augen gedrehten Stadtrunden bis zum Feierabendbier in der Kneipe. Viel passiert dabei nicht, und doch allerhand Bemerkenswertes. Zumindest für Paterson, dessen Feuer für Lyrik sich selbst an einer Streichholzschachtel entzünden kann. Immer wieder zückt er sein zerschlissenes Notizbuch, um die kleinen Dinge des Lebens zu feiern – ganz so wie sein Vorbild William Carlos Williams, der der „Vater-Sohn-Stadt“ Paterson einst mit einem epischen Gedicht ein lyrisches Denkmal gesetzt hat. Noch mehr Feuer ins Leben des Busfahrers bringt allerdings seine Frau Laura.

Mit enthusiastischer Energie feiert sie dessen Wortkunstwerke und träumt von Karrieren als Cupcakes-Bäckerin oder Country-Sängerin. Beim dramatischen Höhepunkt von Patersons Arbeitswoche kann sie ihm allerdings nicht zur Seite stehen. Ein Stammgast seiner Stammkneipe zieht plötzlich aus Liebeskummer eine Waffe. Schwingt sich der Busfahrer etwa doch noch zum großen Helden auf?

Der Lyriker Williams und die Stadt Paterson sind keine Erfindungen von Jarmusch. Jener ist Pulitzer-Preisträger und 1963 im Alter von 79 Jahren verstorben, sie die drittgrößte Stadt des US-Bundesstaates New Jersey und (traut man der eingefangenen Stimmung) schon länger vor sich hin siechend. Aber auch lebende Wortschmiede lässt Jarmusch sein filmisches Poem bereichern. So stammen etwa die lyrischen Reflexionen von Busfahrer Paterson eigentlich aus der Feder von Ron Padgett und Method Man vom Wu-Tang Clan darf als einsamer Rapper im Waschsalon gänzlich unakademische Reimkunst zelebrieren.

Ob Worte, Töne oder Bilder, in „Paterson“ dreht sich fast alles um die Poesie. Ums Dichten und Verdichten. Um das Leben mit offenen Augen und offenem Herzen. Um die Faszination des Alltäglichen und die Kunst, darin das Besondere zu entdecken. Selbst kleine Mädchen zetteln hier Diskussionen über Literatur an, und asiatische Touristen philosophieren über die Unmöglichkeit, Lyrik in eine andere Sprache zu übertragen. Ein übersetztes Gedicht ist demnach so absurd, wie sich im Regenmantel zu duschen. Zumindest diese Plastikhaut ist in der auch visuell bis aufs Innerste und Äußerste verdichteten Welt von „Paterson“ nicht zu spüren, allerdings darf sich der Zuschauer auch keine heiße oder kalte, sondern nur eine warme Dusche erwarten. Ein Film wie aus der Zeit gefallen und doch perfekt für unruhige Zeiten voll aufgekratzter Polarisierung.

Bilder: www.filmladen.at