"Sehnsucht nach dem vollen, wilden Wohlklang"

TODESFALL / HANS WERNER HENZE

29/10/12 Bei den Osterfestspielen 2013 hätte ein neues Werk von Hans Werner Henze aus der Taufe gehoben werden sollen: „Isoldes Tod“. Dazu wird es nicht kommen. Der Doyen der Neuen Musik ist am Samstag (27.10.) in Dresden gestorben. Henze war 86 Jahre alt.

Mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden, die ja fortan das Salzburger Osterfestspiel-Orchester sein wird, war Hans Werner Henze eng verbunden, erst in dieser Spielzeit war er zum „Capell-Compositeur“ ernannt worden. Deshalb war auch die Uraufführung eines neuen Stücks in Salzburg geplant gewesen. Henze konnte „Isoldes Tod“ nicht vollenden.

Die Nachricht vom Tod ihres Capell-Compositeurs erreichte das Orchester und seinen Chefdirigenten Christian Thielemann auf ihrer derzeitigen Asien-Tournee nach der Ankunft in Taipeh. „Erst vor wenigen Tagen hatte ich Henze zuletzt getroffen, als er unsere Aufführung seines Orchesterwerkes 'Sebastian im Traum' in der Semperoper besuchte. Dabei haben wir uns noch einmal herzlich ausgetauscht“, sagt Christian Thielemann. "Für mich ist Hans Werner Henze der bedeutendste deutsche Orchesterkomponist nach Richard Strauss."

Lang ist die Liste von Henze-Aufführungen bei den Salzburger Festspielen: 1966 leitete Christoph von Dohnányi eine szenische Produktion der Oper „Die Bassariden“. Ein Mitschnitt dieser Aufführung ist in der Reihe Festspieldokument bei ORFEO erhältlich. 2003 kam „L’upupa und der Triumph der Sohnesliebe“ in einer Inszenierung von Dieter Dorn in Salzburg auf die Bühne. 2006 war bei den Festspielen konzertant „Gogo no eiko“ zu hören. Zuletzt stand 2007 bei den "Schumann-Szenen" eine Henze-Bearbeitung der Wesendonk-Lieder auf dem Programm.

„Mit Hans Werner Henze ist einer der vielseitigsten und wirkungsvollsten Komponisten unserer Zeit gestorben. Henzes grenzenlose musikalische Phantasie hat während seiner langen künstlerischen Laufbahn in der Komposition von über vierzig Bühnenwerken und zehn Symphonien, in Konzerten, Kammermusik, Oratorien, Liederzyklen und einem aus neun Konzerten bestehenden Requiem Ausdruck gefunden“, schreibt der Schott Verlag in seinem Nachruf. Hans Werner Henze (1926-2012) habe das Musikdrama ebenso gepflegt, wie die Vielfalt instrumentaler Gattungen. Beides habe er „in wechselseitiger Befruchtung zur vollen ästhetischen Entfaltung gebracht“. So sagte ja auch der Komponist selber über sein Werk, „vieles wandert aus dem Konzertsaal auf die Bühne und umgekehrt“.

Geprägt durch seine Erfahrungen in der Kriegsgefangenschaft nahm Henzes politisches Engagement ab Mitte der 60er Jahre starken Einfluss auf seine Kompositionen, auf die Wahl der Texte und Sujets und sogar die Syntax seiner Musik. Er wollte zu den politischen Fragen seiner Zeit in einer neuen Musiksprache Stellung beziehen. Der fragende Rückblick auf das faschistische Deutschland, die Ereignisse von 1968 und die Revolution in Kuba sind nur einige historische Augenblicke, die ihn tief bewegten.

Die spektakulär gescheiterte Uraufführung seines Oratoriums Das Floß der Medusa (1968) in Hamburg schrieb einen der größten Skandale der neueren Musikgeschichte. Besonders manifestierte sich Henzes politisches Engagement in den Handlungen für Musik We come to the River (1974/76), die er mit dem Dichter Edward Bond erarbeitete. Mit seiner Sinfonia N. 9 (1995/97), einer siebenteiligen Chorsinfonie nach Anna Seghers' Roman "Das siebte Kreuz", schuf er ein Mahnmal gegen Faschismus und Krieg.

Entgegen dem Diktum Arnold Schönbergs "Es scheint, die Neunte ist eine Grenze..." hat Hans Werner Henze eine zehnte Sinfonie geschrieben und dazu gesagt, er habe sie geschrieben, um diesen "romantischen Aberglauben zu widerlegen". Leichtfüßig habe er die vermeintliche Grenze überschritte und mit seiner „Zehnten“ ein farbenreiches Gemälde des Lebens, aber auch des Komponisten selbst vorgelegt. L’Upupa aus dem Jahr 2002 ist die einzige Oper, zu der Henze das Libretto selbst verfasst hat. Von seinen Qualitäten als Autor zeugen seine autobiographischen Schriften wie „Die englische Katze – Ein Arbeitstagebuch“ und „Reiselieder mit böhmischen Quinten“.

1976 gründete Hans Werner Henze den Cantiere d'Arte in Montepulciano und 1988 die Münchener Biennale, deren künstlerischer Leiter er bis einschließlich 1994 war. Hier wie auch in dem von ihm gegründeten Deutschlandsberger Jugendmusikfest (beim "Steirischen Herbst") gab er seine Erfahrungen an den Nachwuchs, an Laien, Lehrende und junge Komponisten weiter. "Denn Komponieren ist Handwerk und Handwerk lebt von der Lebenserfahrung". (dpk/OFS/Schott Verlag)

Bild: OFS