Schlafes Vater

IM PORTRÄT / ENJOTT SCHNEIDER

07/09/12 Enjott Schneider gilt als der deutsche Filmmusik-Komponist, obwohl er in den letzten Jahren kaum etwas in diesem Bereich geschrieben hat, dafür zwölf Orgelsinfonien, große sinfonische und oratorische Werke. Der Komponist im DrehPunktKultur-Gespräch.

Von Elisabeth Aumiller

altÜber 300 Kinofilme hat Schneider mit Musik ausgestattet, darunter „Herbstmilch“, „Stalingrad“, „Schlafes Bruder“, „Wildfeuer“, „Leise Schatten“, Das Mädchen Rosemarie“, außerdem TV-Filme und TV-Serien wie unter anderem „Marienhof“ „City Express“, „Weißblaue Geschichten“, „Vater wider Willen“, „Tatort“. Die Soundtracks zu den Filmen sind  auf CDs dokumentiert.

Der Film „Schlafes Bruder“ ging, wie Enjott Schneider im DrehPunktKultur-Interview erzählt, auf seine Initiative zurück. In Indien habe er am Filminstitut unterrichtet und auf dem Flug nach Bombay den Roman gelesen. Er sei davon begeistert gewesen und „rief sofort Vilsmeier an, er solle sich den Stoff besorgen“. Die Musik sei schon fertig gewesen, bevor noch das Drehbuch entwickelt wurde, es war sozusagen eine gemeinsame „Verschwörungsarbeit“.

Enjott Schneider  berichtet, dass er das Genre Filmmusik „nicht bewusst angesteuert“ habe. Vielmehr wollte er von Jugend an klassischer Komponist werden. Sein Schlüsselerlebnis dazu war eine Aufführung von Webers „Freischütz“, die er als 14-jähriger erlebte. Da wusste er: “ich will narrativ Geschichten erzählen mit Musik. Ich will Opern schreiben“. Tatsächlich schrieb er bisher acht große Opern. Als er 1979 eine Professur in München bekam, regten zwei Maskenbildnerinnen an, er solle doch mal Filmmusik schreiben. Dabei habe er entdeckt, dass diese Form seinen Intentionen sehr nahe komme – und er hatte Erfolg damit.

Musik für Oper und Film macht für ihn  keinen Unterschied: „Dazu gehört eine Begabung, mit Musik eine Geschichte zu erzählen, Bilder zu erzeugen, so dass die Leute Personen und eine Handlung erkennen. Es gilt, suggestiv Musik zu schreiben, nicht nur konstruktiv und  grammatikalisch Töne aneinanderzureihen, sondern mit Intervallen und Rhythmen Emotionen zu vermitteln. Klassische Filmmusik lebt vom Idiom, wie das zum Beispiel Richard Wagner oder Giuseppe Verdi vormachten. Der Grundstoff der Filmmusik ist das klassisch romantische Repertoire des 19. Jahrhunderts“.

Schneider schildert die beiden Arten, wie Musik für den Film entsteht: Eine Möglichkeit ist, dass der Komponist den fertigen Film vertont. Dabei muss er sich genau an das Zeitkorsett halten. Bei der zweiten Art  entsteht zuerst die Musik aufgrund von Ideen oder Drehbuchvorlagen und dann wird der Film wie ein Videoclip auf die Musik montiert. Legendäres Beispiel dafür ist Stanley Kubrick, der alle Filme auf diese Weise  gefertigt hat. „Das gibt dem Komponisten mehr Freiheit und Kreativität, er muss sich nicht an die Vorgaben halten, kann nach eigener Laune schöne Übergänge fantasievoll gestalten und dann schneiden die Filmemacher darauf die Bilder.“

Zwischenformen sind „Ping- Pong- Spiele“ zwischen Komponist und Regisseur, so lange bis überall das beste Ergebnis erzielt ist. Gute Filme sind immer in solcher Teamarbeit entstanden und Schneider hat mit guten Filmemachern zusammengearbeitet wie beispielsweise mit Jo Baier, Joseph Vilsmeier, Bernd Eichinger, Margarethe von Trotta, um nur  einige zu nennen.

Schneiders Film-Enthaltsamkeit seit einigen Jahren hängt damit zusammen, dass ihm das Niveau der Filme nicht mehr behage, dass die meisten deutschen Filme seiner Ansicht nach „Popcorn-Kultur“ seien. An dieser Ausrichtung ändere sich wenig. Es sei ihm „langweilig geworden, immer wieder die gleichen Juvenilitäts- und Pubertätsprobleme zu bedienen.“

Anders sei die Situation im amerikanischen Film, dem ganz andere Etats zur Verfügung stehen (200-300 Millionen Dollar), wodurch mit größerer Professionalität gearbeitet werden kann. In amerikanischen Filmen findet Schneider „existenzielle und philosophische Probleme“.

Schneider sieht mit Besorgnis, dass der kommerzielle Aspekt und die Quotenorientierung immer stärker werden. Die Qualität nehme auch deshalb ab, weil sich durch die Digitalisierung „heute jeder der Software bedienen“ könne: So sei „das Filmemachen zur Fast-Food-Produktion geworden, ebenso wie man im Musiktheaterbereich die Jet-Set-Oper bevorzugt und mit herumreisenden Stars, die Quotenrenner sind, die Quotenträchtigkeit schürt, anstelle von profunder Theaterarbeit, die die substantielle Aussage auf den Punkt bringt.“

Derzeit widmet sich Enjott Schneider eher der symphonischen Musik. Aber mit Vilsmeier ist ja doch für 2014 ein großer Kinofilm zum 100-jährigen Gedenken an den Ersten Weltkrieg geplant, und ebenfalls  2014 kommt eine BR-Produktion mit Orchester und Chor für ein großes Stück über Bernhard von Clairvaux „Ordo amoris“ heraus, in der es um die Marienliebe geht.

Bild: dpk-Elisabeth Aumiller