Man muss nicht schwitzen, wenn man Akkorde spielt

NACHRUF / HANS LEYGRAF

16/02/11 „Ein ‚Artist’ ist Leygraf nicht gewesen. Es ging ihm nicht darum, die Oktaven in der Liszt-Sonate noch schneller zu spielen. Bei ihm waren die Oktaven in die Musik integriert - und nicht Selbstzweck. Da könnten sehr viele sportliche junge Pianisten noch heute was lernen. Er fehlt uns.“ So Christoph Lieske über den am 12. Februar im 91. Lebensjahr verstorbenen Pianisten und Pädagogen Hans Leygraf.

Von Heidemarie Klabacher

alt„Wir waren die erste Leygraf-Klasse in Darmstadt.“ Christoph Lieske, seit 1990 Klavierprofessor am Mozarteum - und Leygraf-Schüler der ersten Generation - erinnert sich im Gespräch mit DrehPunktKultur an den großen Pianisten und Pädagogen.

„Ich bin mit ihm verbunden, seit ich 16 war. Es war von Anfang an klar, dass das ein großer Lehrer wird. Das Großartige war eine neue, bis dahin nicht praktizierte Anschlagstechnik und Anschlagskultur. Er vermittelte ein Legato- und ein Fortespiel, die nicht üblich waren.“

„Sensationell bis heute“: Leygrafs Legato, „eine Überbindung, die manchmal bis zum Fingerpedal führt, bei der alle Töne liegen bleiben“. So Christoph Lieske, der bereits mit 19 Jahren Assistent von Hans Leygraf an der Städtischen Akademie für Tonkunst in Darmstadt wurde. Dieses Leygraf’sche Legato sei ganz im Gegensatz gestanden zum französischen Ideal, „jeden Ton vom anderen zu trennen“: „Man macht ja immer noch das, was wir ‚Klimpern’ nennen.“

Auch Leygrafs „Forte-Bildung“ war einzigartig. Der Pädagoge Lieske schildert die Technik seines einstigen Lehrers: „Das Armgewicht war für ihn der entscheidende Anschlagsgeber bei großen Akkorden, wie etwa im Tschaikowsky-Konzert, nicht der Körper. Man muss nicht schwitzen, wenn man Akkorde spielt.“ Leygraf habe ein „Gewichtsspiel“ propagiert: mit dem ganzen Arm forte spielen, ohne zu verkrampfen, bei sofortiger Entspannung nach dem Anschlag. „Sehnenscheiden-Entzündung gab es bei Leygraf-Schülern nicht.“

Vermittelt habe Leygraf all das mit klaren einfachen Worten - und vor allem mit seinem Beispiel: „Er hat unglaublich vorgespielt am zweiten Klavier. Das war nie ein ein Nebenansitzen und Predigen. Er hat immer gezeigt, wie das klingen könnte…“

Denn da sei ja auch noch der Pianist Leygraf gewesen, nicht nur der Lehrer. „Er ist als Pianist weitaus begabter gewesen, als man hierzulande weiß“, so Christoph Lieske. Tatsächlich war  Leygraf in Deutschland und Österreich mehr als Pädagoge, denn als Pianist bekannt. „Aber er konnte einfach alles spielen und er konnte unglaublich gut improvisieren. Er hatte ein phantastisches Gedächtnis und ein überragendes harmonisches Bewusstsein. Eine phantastische Begabung. Noch mit 84 Jahren hat er im Großen Festspielhaus Mozarts A-Dur Konzert gespielt, vollkommen fehlerfrei.“

altGeliebt habe Hans Leygraf die „Klassische Wiener Schule“, Schubert oder Schönberg: „Das fein Strukturierte, Komplexe, nicht das Laute. Geist war dabei, nicht nur Kraft und Technik.“

Hans Leygraf wurde am 7. September 1920 als Sohn deutsch-österreichischer Eltern in Stockholm in geboren. Er studierte Klavier beim Schnabel-Schüler Gottfrid Boon in Stockholm und bei Anna Hirzel-Langenhan in der Schweiz. Weiters hat er ein Kompositions- und Dirigierstudium an den Musikhochschulen in München und Stockholm absolviert.

Mit neun Jahren debutierte er als Solist zusammen mit den Stockholmer Philharmonikern, mit zwölf Jahren gab er seinen ersten Soloabend. Nach dem Krieg konzertierte er in ganz Europa einschließlich der Sowjetunion, in den USA und im Fernen Osten. Er musizierte mit dem Royal Philharmonic Orchestra London, dem NDR Symphonie Orchester Hamburg, den Wiener Philharmonikern oder dem Mozarteumorchester unter Dirigenten wie Fritz Busch, Josef Kleiberth, Alberto Erede, Fritz Lehmann, Georg Solti, Wolfgang Sawallisch, George Szell oder Sergiu Celibidache.

Sein Repertoire umfasste dreißig Klavierkonzerte und vierzig Programme für Solokonzerte. Neben „klassischen“ Werken, besonders Mozart, spielte Leygraf immer wieder ein Programm mit schwedischer Klaviermusik: Werke von Stenhammer, Rosenberg, Wirén, Larsson oder de Frumerie. Bei den Salzburger Festspielen und der Mozartwoche gab Hans Leygraf Solistenkonzerte.

Regelmäßig wurde er als Juror zu den zu großen Wettbewerben (Busoni-Wettbewerb, ARD-Wettbewerb oder Deutscher Musikwettbewerb) eingeladen. Als Pädagoge lehrte er in Darmstadt, Hannover und - von 1972 bis 1990 - als Professor am Mozarteum, wo er bereits seit 1956 an der Internationalen Sommerakademie Mozarteum und nach seiner Emeritierung noch bis 2007 tätig war. Sein Heimatland Schweden hat Hans Leygraf mit dem Königlichen Vasa-Orden und dem Literis et Artibus ausgezeichnet.

Bilder: Universität Mozarteum/dB Productions Eric Nilsson (1)/Per P. Adolphson (1)