Das Orakel für die Tiefe der Musik

TODESFALL / GEORGES PRÊTRE

05/01/17 "Vielleicht liegt ein Geheimnis seines Erfolgs im weisen Entschluss, Zeiten zurückgezogener Muße mit einem klar umgrenzten 'Repertoire ohne Repertoire' zu verbinden: mit einem intensiv studierten Werkkanon ohne Routine-Gefahr." Das kann man auf der Website der Wiener Symphoniker über ihren Ehrendirigenten Georges Prêtre lesen. Der Dirigent ist gestern, Mittwoch (4.1.) nachmittags im Alter von 92 Jahren verstorben.

Das Wort Dirigent schien Prêtre für sich selbst als zu kurz gegriffen. Ein solcher würde sich ums Taktschlagen kümmern – er habe das zuletzt am Ende seiner Ausbildungszeit getan, scherzte Prêtre einmal. Was war er dann? Einer gewiss, der mit unaufdringlichem, aber prägendem Charme hinter die Fassade von Musik welcher Art auch immer zu blicken suchte, und das in engem Schulterschluss mit seinen instrumentalen Mitstreitern. Dazu eine schöne Formulierung auf der Symphoniker-Website: "Seine geistige und körperliche Elastizität überträgt sich geradezu magisch auf die Orchestermusiker, spornt sie aufs Äußerste an und motiviert zu Höchstleistungen, die sich auch der extremen und bis zur Erschöpfung führenden gesteigerten Anspannung verdanken, welche die sachdienliche Dechiffrierung von Prêtres kryptischer, um nicht zu sagen orakelhafter Form der Zeichengebung erfordert." Zwischen 1986 und 1991 war Georges Prêtre der Erste Gastdirigent der Wiener Symphoniker, als solcher gastierte er mehrmals bei der Salzburger Kulturvereinigung.

Bei den Salzburger Festspielen debütierte er 1966 (am Pult der Berliner Philharmoniker). Im Festspielsommer 1989 (das war unmittelbar nach dem Tod Herbert von Karajans) leitete er die "Tosca". Bei den Osterfestspielen hätte Georges Prêtre im "Konzert für Salzburg" am 13. April Beethovens Egmont-Ouvertüre und den Bolero von Ravel zu dirigieren sollen.

Prêtre wurde 1924 im nordfranzösischen Waziers geboren. Geld als Musiker hat er in seiner Jugend auch als Jazztrompeter verdient, in Ensembles, die Edith Piaf und Yves Montand begleiteten. Eigentlich strebte er eine Komponistenkarriere an, unter dem Pseudonym "Dherian" schrieb er sogar zwei Operetten.

Als 22jähriger debütierte Georges Prêtre 1946 an der Oper von Marseille und kam 1956 an der Pariser Opéra Comique. Es folgten Engagements in Chicago, dann in London am Covent Garden, wobei später auch die Mailänder Scala und die Wiener Staatsoper dazu kamen, an der er ab 1962 tätig war. 1966 dirigierte er die Wiederöffnung der New Yorker Metropolitan Opera. Die Position als Musikdirektor der Pariser Oper legte er 1971 bereits nach nur einem Jahr wieder zurück. 2008 und 2010 luden ihn die Wiener Philharmoniker als Dirigenten fürs Neujahrskonzert ein.

Musiker waren stets sehr angetan von dem durchaus despotischen, aber eben mit hoher Überzeugungskraft gesegneten Künstler. Maria Callas sprach von ihm als ihrem "Chef préféré". Und Francis Poulenc, dessen Oper "La Voix humaine" Georges Prêtre uraufgeführt hat, schrieb danach euphorisch: „Bénoit soit le jour qui a vu naître Georges Prêtre“ (gesegnet der Tag, an dem Georges Prêtre geboren wurde). (dpk-krie)

Bild: www.wienersymphoniker.at