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Zentralmatura - Nivellierung und Niveauverlust

GASTKOMMENTAR

05/06/12 Die Verschiebung der Zentralmatura löst kein Problem. Die Zentralmatura ist das Problem, so der Salzburger Autor und Lehrer Christoph Janacs. Er sei weder Gewerkschaftsmitglied noch ÖVP-Wähler und lasse sich vor keinen Karren spannen, betont Janacs in einem offenen Brief: „Aber ich bin Lehrer und Schriftsteller und unterrichte seit 1983 Deutsch an einer Salzburger Höheren Schule und kenne damit zur Genüge das österreichische Schul-Un-Wesen und die hilflosen Versuche diverser UnterrichtsministerInnen, dieses zu ändern.“

Von Christoph Janacs

Freude ob der Verschiebung der Zentralmatura um ein Jahr kommt bei mir nicht auf, denn die Verschiebung ändert nichts an der Einführung einer, wie es so schön heißt, teilzentrierten Reifeprüfung, und diese ist das eigentliche Problem. Warum?

1. Das Projekt, wie Frau Schmied es geruht zu bezeichnen, ist in seiner Vorbereitung unausgegoren und völlig unzureichend: diverse Organisationen wurden vom Ministerium mit der Entwicklung der neuen Reifeprüfung beauftragt, arbeiten aber nicht zusammen, sondern zerren in verschiedene Richtungen und entwerfen nicht kompatible Konzepte; das BIFIE (eine „Institution des Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur zur Vermittlung zwischen Schulverwaltung, Forschung und schulischer Praxis“, Anmerkung der Redaktion) ist ein hoch dotierter (über 15 Millionen Euro jährlich!), aufgeblähter Apparat, dem es bislang nicht gelungen ist, allseits akzeptable Vorbereitungen und Übungsbeispiele anzubieten; LehrerInnen werden zu sogenannten Road-Shows (sic!) verpflichtet, auf denen sie dann mangelnde oder falsche Informationen erhalten, die von BIFIE wie Ministerium umgehend revidiert werden; was Ministerin Schmied nicht müde wird zu behaupten – beste Vorbereitung und Information der Lehrerschaft, transparente Entwicklung ihres Projektes, Eingehen auf Vorschläge und Kritik –, widerspricht zur Gänze der Realität.

2. Die Einführung einer Zentralmatura in einem Land, das über das am meisten ausdifferenzierte Schulwesen Europas verfügt, ist kontraproduktiv und kann nur zu Nivellierung und Niveauverlust führen: Einerseits gibt es Allgemeinbildende wie Berufsbildende Höhere Schulen, die sich wiederum in verschiedenste Zweige mit sehr individuellen Lehrplänen aufgliedern, andererseits sollen am Ende die AbsolventInnen in Deutsch, Mathematik und Fremdsprachen am selben Tag dieselben Aufgabenstellungen lösen, obwohl sie nach unterschiedlichsten Lehrplänen ausgebildet wurden und einen je eigenen Verstehenshorizont besitzen (so gibt es z.B. in den Berufsbildenden Schulen keine Fächer wie Philosophie, Psychologie, Musik, Bildende Kunst oder gar Biologie, dafür aber in den Technischen Höheren Schulen das Fach Angewandte Mathematik, das sich von der Allgemeinen Mathematik der AHS deutlich unterscheidet!). Gemeinsame, für alle Höheren SchülerInnen gültige Aufgabenstellungen können also gegenüber den jetzigen, von den LehrerInnen individuell erstellten und auf die Entwicklung der jeweiligen Schulklassen abgestimmten Aufgaben nur, ich wiederhole mich, zu Nivellierung und einer Herabsetzung des Niveaus führen, wovon die bislang angebotenen Übungsbeispiele des BIFIE ein beredtes Zeugnis ablegen.

3. Ein besonderes Problem sehe ich in der Einführung der Zentralmatura für das Fach Deutsch: Da sich die verantwortlichen OrganisatorInnen auf keinen Lektüre-, sondern nur auf einen Textsortenkanon einigen konnten und wollten (die Einführung eines verbindlichen Lesekanons wurde von einer Road-Show-Referentin sogar als Rückfall in die 1930er Jahre bezeichnet!), können für die Erstellung von Maturaaufgaben keine Langtexte mehr (also Dramen, Romane oder längere Erzählungen und Novellen, zu deren Lektüre ein größerer Zeitrahmen erforderlich ist) herangezogen werden, sondern nur noch Kurzprosatexte, Gedichte oder Romanauszüge; Literatur und Dichtung verkommen damit zu Impuls- und Stichwortgebern für diverse Themen und verlieren ihre eigenständige Bedeutung und Relevanz (auch dies belegen die bislang vom BIFIE veröffentlichten Maturabeispiele!). Da in den HAKs Deutsch als Fach für die mündliche Matura gänzlich entfällt (hier gibt es nur noch das Fach Kultur) und in den HTLs geplant ist, dass KandidatInnen, die schriftlich Deutsch gewählt haben, im Fach Englisch mündlich antreten müssen, droht zumindest in den Berufsbildenden Schulen die gänzliche Eliminierung von Literatur und Dichtung aus dem Unterrichtsfach Deutsch. Dies kann unter gar keinen Umständen hingenommen werden!

4. Ministerin Schmied zäumte das sprichwörtliche Pferd vom Schwanz auf: Anstatt mit der Diskussion des Bildungsbegriffs zu beginnen, um in der Folge die Reformierung der Lehrpläne anzugehen und am Ende eine neue Reifeprüfung einzuführen (ganz abgesehen von der längst überfälligen Frage, ob eine Matura überhaupt noch notwendig und zeitgemäß ist), begann sie mit der Maturareform und kam mit der dazugehörigen Vorbereitung und der Änderung der Lehrpläne völlig in Verzug. Entstanden sind Chaos und Verunsicherung. Deshalb sollte die Einführung der Zentralmatura nicht verschoben, sondern ausgesetzt werden, und zwar so lange, bis alle anderen Vorarbeiten zufrieden stellend geleistet wurden.

Bild: www.janacs.at

 

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