Make culture, not war
KOMMENTAR
Von Reinhard Kriechbaum
30/08/22 Touristenverstopfte Innenstadtgassen und positive Zahlen aus der Tourismuswirtschaft, zufriedenstellende Besucherzahlen bei den Festspielen. Da war noch was, ah ja, Corona: Die Ansage vor jeder Vorstellung, dass man doch – bitte! – einen Mund-Nasenschutz nehmen solle, ist ungehört verhallt. Trotzdem nichts passiert, nach derzeitigem Wissensstand.
Jetzt können wir uns also zufrieden zurücklehnen. Es waren stinknormale Festspiele, ein stinknormaler Sommer. Die 1,6 Grad, die er wärmer war? Die haben wir mit Schweiß auf der Stirn zwar, aber tapfer weggesteckt. Der Krieg in der gar nicht so fernen Ukraine? An die Meldungsflut gewöhnen wir uns allmählich. Die rundum steigenden Energie- und Lebenshaltungskosten beunruhigen. Aber der Staat wird das (mit unserem Geld) schon auch irgendwie hinkriegen.
Es waren Festspiele! Deren Beginn und Ende sind allemal Anlass für Sonntagsreden. Dazu neigen auch wir Kulturjournalisten und betonen wortreich und selbstgewiss, wie unverzichtbar wichtig doch der geistige Input von Festspielen und Kultur überhaupt doch sei gegen die widrigen Niederungen des Lebens. Kunst biete eine
„Verfeinerung des Denkens“, so Intendant Markus Hinterhäuser in der abschließenden Presseaussendung der Festspiele, einem doch recht üppig ausgefallenen Eigenlob.
Lassen wir die vergangenen sechseinhalb Wochen vorüberziehen. Was konnten wir mitnehmen, was hat uns denkmäßig auf neue Ebenen gehoben? Ehrlich, wir sind völlig ratlos. Das Orff'sche Endzeit-Gefrömmel der Comoedia haben wir tapfer weggesteckt, es hat niemanden gekratzt. Von Puccinis Trittico über die Zauberflöte bis zum Barbier von Sevilla: Aufführungen, die man gut herzeigen konnte. Káťa Kabanová hat wirklich gepackt. Da war ja auch, so wie bei Il trittico, ein echter Regisseur dran und es sind Opernstoffe, die für sich sprechen und gerade nicht vordergründig als Moral-Lehrstücke daherkommen. Aida ist auch beim zweiten Mal in die Hosen gegangen, eben weil kein zurechnungsfähiger Regisseur, keine Regisseurin, bloß eine Videokünstlerin da war.
Es ist ein hehres Ziel der Festspielleitung, durch experimentelle Besetzungen neue Perspektiven auf scheinbar sattsam bekannte Werke einzubringen – aber gerade in dieser Aida hat man überdeutlich vor Augen geführt bekommen, wie sehr derart groß dimensionierte Bühnenkunst nach reinem Handwerk schreit. Solchen szenischen Dilettantismus könnten sich Sängerinnen und Sänger, Dirigenten und Orchester nie erlauben. Das musikalische Niveau auf den Opernbühnen: Da hat man – auch wieder Káťa Kabanová als einzige Ausnahme – die Ebene zwischen Staatsoper und Met gehalten, aber nie überschritten.
Das Schauspiel ist noch anfälliger für Moden und damit fürs Scheitern. Der nach Laissez-faire-Methode nachgedichtete Reigen und die sträflich marginalisierte Iphigenia standen für Modeerscheinungen auf den deutschen Bühnen: Stückzertrümmerung ist (noch immer) angesagt – aber leider haben die wenigsten jungen Baumeisterinnen und Baumeister die Kraft, die Bruchsteine auch nur einigermaßen repräsentativ aufzubauen. Und so verdient der Einsatz für Marieluise Fleißer auch war: Das Stück Ingolstadt wurde aus zwei Stücken zusammen-gezimmert. Da wurde also minimiert. Verrückt nach Trost stand ebenfalls für eine Mode: Kollektives Erarbeiten mit reger Einbeziehung der Schauspieler-Sicht ist gerade total gefragt – und hat hier, weil tolle Bühnenkünstler am Werk waren, immerhin eine nette Burleske gebracht.
Was größere Perspektiven anlangt, Zukunftsweisendes gar, waren das eher ernüchternde Festspiele. Vielleicht traut man der Kunst dann doch ein zu hohes Weltverbesserungs-Potential zu. Und vielleicht ist ja auch genau das der Grund, dass wieder einmal das Konzertprogramm die szenischen Angebote hat ziemlich blass aussehen lässt. Da sprechen Musikerinnen und Musiker für die Werke und diese für sich – und da wird nicht der Anspruch erhoben, bessere Menschen oder eine bessere Welt zu generieren. Da wirkt die Kultur überzeugender. Und für ein solches Niveau lohnt es sich allemal, Geld auszugeben und den Ruf auszusenden: Make culture, not war.
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