Zeugenmord statt Femizid
GLOSSE
Von Reinhard Kriechbaum
24/08/21 Der zudringliche Bösewicht Scarpia, Prototyp des weißen alten Mannes, hat Toscas Messerstich überlebt. Die Sache geht in der Salzburger Inszenierung von Michael Sturminger so aus, dass Tosca sich nicht selbst ins Jenseits befördert, sondern vom überraschend auftauchenden Scarpia erschossen wird. Das Böse ist eben nicht tot zu kriegen.
Ein eiskalter Femizid also anstatt Selbstmord durch Sprung vom Dach der Engelsburg. Das ist starker Tobak. Dass wir auf die Live-Übertragung der Tosca am kommenden Freitag (27.8.) werden verzichten müssen, hat aber nicht damit zu tun, dass der ORF keine Nachahmungstäter zu ähnlich schändlichem Tun anstiften will. Es schaut so aus, als ob der ORF selbst auf der falschen Ferse erwischt worden ist. Er sei „von seinen Produktionspartnern bei den Salzburger Festspielen und UNITEL informiert“ worden, dass „die zeitversetzte ORF-2-Live-Übertragung der Tosca von den Salzburger Festspielen am Freitag, dem 27. August 2021 um 20.15 Uhr entfällt, da die an den Aufführungstagen 24. und 27. August geplante TV-Produktion aus organisatorischen und dispositionellen Gründen abgesagt werden musste“. Diese Nachricht wurde am Montagabend (23.8.) ausgesendet. Sie klingt irgendwie verschnupft und die Begründung ist ja wirklich höchst eigentümlich: Eine TV-Opernübertragung wird eher nicht an zwei Abenden schnell mal zusammengebastelt.
Aber gelobt sei das wohl geordnete ORF-Archiv. Ganz auf Mord wird man am Freitagabend nicht verzichten müssen. Sogar Mord in Salzburg! Statt Tosca wird die Folge Zeugenmord aus der Reihe Die Toten von Salzburg ausgestrahlt. Zwei Morde sogar, wenn auch auch nicht im Großen Festspielhaus und nicht auf offener Bühne, so doch ganz nahe: Ein Bergputzer spielt eine mehr als zwielichtige Rolle in dem 2018 erstausgestrahlten Film. Der Shutdown an der Mönchsbergwand hält in Sachen Liebe und Kriminalpotential mit Tosca beinah mit.
