Sinngeber und Arbeitgeber

KOMMENTAR

Von Reinhard Kriechbaum

21/08/20 „Keine Verfassung, ein Memorandum“ habe man geschrieben, betonte Intendant Markus Hinterhäuser am Freitag bei der Unterzeichnung. Also eine Denkschrift. Etwas, was künftige Festspiel-Leitungen und ihre Geldgeber zumindest im Hinterkopf haben sollten. Es sind also zehn Punkte, die für die nächsten Jahrzehnte so etwas sein wollen wie der Schienenunterbau eines Zuges, dessen Geschwindigkeit, dessen Waggon-Ausstattung – ja sogar dessen Ziel genauer zu beschreiben wenig sinnvoll ist.

Große Worte in der Präambel: „Festspiele werden morgen noch mehr als heute als Wissensvermittler und Weltgedächtnis, als Archiv unserer Welterkenntnis fungieren müssen.“ So etwas taugt allemal für eine Headline, aber eben nicht für mehr. Steht etwas im Memorandum, was man anders kommentieren könnte als mit den Worten „no na“? Dass es um ein Friedensprojekt gehe, betonen Helga Rabl-Stadler genau so wie Wilfried Haslauer (er ist zur Zeit Vorsitzender des Kuratoriums). Einen „Ort der Freiheit“ beschwor der Landeshauptmann, also Festspiele ohne Denk-Einschränkungen, schon gar ohne Denkverbote, ohne nationale Verengung, sondern mit Internationalität. Und – das gehe über die Gründungsidee hinaus, betonte Haslauer - „dass wir auch unter widrigsten Umständen für die Kunst und Kultur einstehen“. Dieses Trotzen ist nartürlich der diesjährigen Lage geschuldet und hat es vermutlich deshalb gleich in den Punkt zwei gebracht.

Die Festspielpräsidentin: „Wir bleiben bei der Gründungsidee, Festspiele als Sinngeber und Arbeitgeber“. Für die Sache wesentlich ist das eindeutige Bekenntnis zum Dreispartenbetrieb (Oper, Schauspiel, Konzert). Die Formulierung „Qualität vor Kommerzialität“ ist von der derzeitigen Festspielleitung gewiss ehrlich gemeint. Aber eben um diesen Qualitätsprimat ist am ehesten immer aufs Neue zu ringen, die an Betriebsamkeit überschießenden Pereira-Jahre sind noch nicht lange her. Dass man der „zeitgenössischen Kunst, zeitgenössischen Komponistinnen und Komponisten sowie Autorinnen und Autoren eine Bühne“ bieten und ihnen „beste Aufführungsbedingungen“ ermöglichen wolle, ist gut und wichtig. Etwas lapidar geraten ist der Punkt, „die kommende Generation für Musik und Theater zu begeistern und ein Bewusstsein für die Notwendigkeit künstlerischer Auseinandersetzung zu schaffen“. Das versuchen viele Kulturveranstalter, weil ihnen sonst die Felle davonschwimmen. Ob gerade die Jugendarbeit ursächlich Sache von Festspielen sein muss, ist die Frage. Da wäre viel eher der Bildungsapparat des Staates gefordert (aber dem ist die Kultur ziemlich wurst).

Eine ehrliche Formulierung: „Die Salzburger Festspiele wollen weiterhin kultureller und künstlerischer Impulsgeber und bedeutender wirtschaftlicher Motor in Salzburg sein und für Einkommen und Beschäftigung sorgen.“ Dazu gehört die Selbstverplichtung, „ein vorbildlicher Arbeitgeber“ zu sein.

Gleichsam als Nahziel – nämlich mit Zehn-Jahres-Horizont – hat man ins Memorandum aufgenommen, dass in die Modernisierung der Gebäude im Festspielbezirk allerhand zu investieren sein wird. Da sind Bund, Land und Stadt genau so in die Pflicht genommen.

Künstlerische Leitlinien? Da geht es, um beim Eisenbahn-Bild zu bleiben, um die Fahrwerke, nicht um den Gleiskörper. Die kommen nicht wirklich vor im Memorandum. Gewiss wird man jede nachfolgende Festspielleitung daran messen müssen, was auch in der Präambel steht: „Festspiele der Zukunft dürfen die Zeitläufte nicht nur zur Kenntnis nehmen, sie müssen klug und kreativ agieren. Sie müssen mehr denn je in der Lage sein, sich den Tatsachen einer digitalen Welt zu stellen, und sie müssen den Entwürfen einer beliebigen technischen Reproduzierbarkeit ein Gegenmodell anbieten“.

Schlicht: Festspiele sollten den Sinn dafür schärfen, „was sein könnte oder geschehen müsste“. Das ist, unprätentiös formuliert, ja die Rechtfertigung für jede Art von Kunst und Kultur, so sie nicht ausschließlich dem Zeitvertreib dienen will.

Das Festspiel-Memorandum im Wortlaut
Wirklichkeitssinn und Möglichkeitssinn