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Zwei-Klassen-Medizin

GASTKOMMENTAR

altVon Barbara Wicha

04/06/10 Rund 420.000 Menschen in Österreich sind derzeit bei der „Sozialversicherung der Gewerbetreibenden“ (SVA) versichert – darunter jede Menge „Ich-AGs“, Ein-Personen-Unternehmen und vor allem freischaffenden Künstlerinnen und Künstler. Nach einem Streit zwischen Ärztekammer und SVA herrscht seit 1. Juni ein vertragsloser Zustand. Wer zum niedergelassenen oder Facharzt geht (aber nicht zum Zahnarzt oder in die Ambulanz), muss ab 1. Juni den Arztbesuch auf der Stelle oder per Monatsrechnung bezahlen und erst anschließend die saldierte Rechnung bei der SVA einreichen. Bis zu 80% erhält man dann zurück.

Auf der Homepage der SVA erfährt man allerdings, dass es neben dem Vorauszahlen noch  zwei andere Möglichkeiten gibt: a) es gibt Ärzte, die dennoch selber mit der SVA und e-card abrechnen, dann ändert sich nichts für den Kranken, und b) als Patient gibt man dem Arzt eine Zessionserklärung (die er allerdings erst annehmen muss), dann erhält der Arzt das Honorar weiter von der SVA, die 20% Selbstbehalt wird dem Patienten vorgeschrieben. Medikamente werden – je nach Arzt – als „Privatrezept“ markiert, aber weiter von der  SVA übernommen. Allerdings, so erfährt man in unterschiedlichen Apotheken, gibt es auch da eine gewisse Bandbreite.

Der Skandal an diesem „vertragslosen Zustand“ ist, dass zwar von den Versicherten Beitragszahlungen erwartet werden (nicht zu knapp und mit großer Akribie durch Nachzahlungen von den Künstlern eingetrieben), aber dass die Leistung selber erst einmal von den Patienten zu bevorschussen ist. Außerdem hat die Ärztekammer den Ärzten auch noch geraten, die Honorare für ihre Leistungen zumindest um 20% zu erhöhen.

Man stelle sich vor, was dieser Zustand - der angeblich bis zu einem Jahr dauern kann - für jene unter den freischaffenden Künstlern bedeutet, die zwar sozialversicherungspflichtig sind, aber in Wahrheit knapp an der Armutsgrenze leben. Und für all jene, denen der Überstieg in die Selbständigkeit so schnell und ohne Warnung vor den Folgen schmackhaft gemacht wurde. Sie alle haben keine machtvolle Lobby!

Wo ist unser Sozialstaat, wenn Menschen im Krankheitsfall überlegen müssen, ob sie sich einen Arztbesuch leisten können. Glücklich jene, die im Angestelltenverhältnis leben und bei einem anderen Sozialversicherungsträger versichert sind. Weit gekommen sind wir in einem Sozialstaat, wo sich die Politik angesichts dieses Konflikts und der zutage tretenden Zweiklassen-Medizin schweigend zurücklehnt. Die Wunden nach  verlorenen Wahlen zu lecken ist offenbar wichtiger …

Bild: privat

 

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