Qualifizierte Analphabeten

STICH-WORT

altVon Christina Repolust

17/08/10 Selbst der „weiße Schimmel“ und der „alte Greis, die alte Greisin“ in Österreich - lauter Pleonasmen - haben schon mit qualifizierten Analphabeten zu tun gehabt. Schließlich können 15 von 100 Menschen in Österreich - alle ohne Migrationshintergrund - nicht ausreichend lesen, schreiben, rechnen und den PC bedienen. Vielleicht sind Sie gerade heute von einer kompetenten Verkäuferin bedient worden, die seit zwei Semerstern einen Basisbildungskurs im abc Basisbildungszentrum in Salzburg besucht. Ich habe sie interviewt, sie ist eine der besten Kräfte in diesem Laden, bekommt Aufstiegsangebote, die sie ablehnt. Weil sie sie ablehnen muss. Weil sie nicht will, dass ihre Defizite beim Lesen und Schreiben auffallen. Lieber geht sie und fängt in einem anderen Geschäft wieder ganz von vorne an. Auch der Mann, der einen Handwerksbetrieb führt, kommt ins abc und macht von seinem Menschenrecht, dem Recht auf Bildung Gebrauch: Er will wissen, was er unterschreibt, er will sich nicht länger verstecken. So auch eine über Sechzigjährige, die sich nach einer Werbekampagne anlässlich des 8. Septembe (dem Weltalphabetisierungstag), meldete. Sie habe, so der O-Ton, ihren Kindern nie vorgelesen, da sie nicht lesen konnte. Gerne würde sie aber nun den Enkerln vorlesen.

Maria Fekters Aussage über die unqualifizierten Analphabeten aus irgendeinem türkischen Bergdorf haben mich getroffen. Ich war gerade in meiner Heimat Osttirol, da gibt es wunderschöne Bergdörfer. 15 von 100 - also wird auch hier einer oder eine sich verstecken, verstellen und schämen, weil sie in ihren neun Jahren Schulpflicht die Kulturtechniken nicht erlernte oder einfach mitgenommen wurde oder einfach und schlicht unsichtbar war.

Die Aufreger über die Fekter-Aussage haben recht, wenn sie diese Abwertung kritisieren. Aber niemals lasse ich unwidersprochen, dass der Ausdruck „unqualifizierter Analphabet“ ein Pleonasmus ist.

Die Menschen, die wo nicht lesen können, sollten doch ermuntert werden. Damit die, die wo das nicht können, erfahren, wo sie das lernen können, damit sie vielleicht sogar einmal eine qualifizierte Ministerin werden können.

Zur Meldung über das "Buchstaben-Shooting" der Stadtbücherei Salzburg