Fahnenflüchtig

STICH-WORT

23/10/20 Ganz Unerhörtes hören wir aus Kuchl. Da haben sich doch die Waldrappe, die dort vor bald zwanzig Jahren wieder angesiedelt wurden, über die Quarantäne-Sperren schlicht hinweg gesetzt. Einfach so haben sie sich über die Köpfe der Polizisten auf und davon gemacht.

Von Reinhard Kriechbaum

Das Ziel der rund dreißig Kuchler Waldrappe, die in der warmen Jahreszeit in Höhlen auf dem Georgenberg nisten, ist die südliche Toskana. Dort überwintern sie. Vorerst aber haben sie sich – das berichtete gestern (22.10.) der ORF Salzburg – auf einer großen Wiese an der Moosstraße zusammengerottet. Sie warten dort vermutlich auf ihre Kolleginnen und Kollegen aus Burghausen. Die Flugreise treten sie gemeinsam an. Bisher flogen Ornitologen den Waldrappen auf Leichtflugzeugen voran und wiesen den Weg gen Süden. Jetzt sitzen die Vogel-Betreuer corona-erdgebunden fest. Gut, dass es GPS gibt. Die Waldrappe haben kleine Sender montiert bekommen. Unbemerkt türmen können sie nicht, schon gar nicht unauffällig dorthin zurückkehren, wo sie vor zehn Jahren hergeholt wurden: aus Marokko, Syrien und der Türkei (hierzulande waren sie längst ausgestorben). Aber dorthin will derzeit sowieso nicht mal unser Federvieh.

Die Flucht aus Kuchl wundert uns überhaupt nicht. Die Waldrappe mit ihrem an Punks erinnernden Kopfschmuck und den eine Handspanne langen, säbelförmigen Schnäbeln schauen schon so aus wie Zeitgenossen, die sich nichts vorschreiben lassen. Was uns Sorgen macht: dass das Schule macht im Vogelreich.

Eben erst hat das Landespressebüro daran erinnert, dass am Montag Staatsfeiertag ist und man Häuser „gerne“ mit Fahnen schmücken „dürfe“. Was, wenn sich der Bundesadler – optisch nicht weniger Eigenbrötler als die Waldrappe – seiner zerbrochenen Fußkette erinnert? Nichts könnte ihn zurückhalten, und auf der Fahne bliebe nichts als eine unbevögelte Blindstelle.

Man muss auf der Hut sein. Die Tiere der Zeit sind klein und beweglich wie Vögel und schier allgegenwärtig. Sie lauern überall. Unsere Zeichnerin Helena Thurner hat sich schon ausgemalt, wie es ist, wenn sie von der rot-weiß-roten Fahne Besitz ergreifen. Nicht auszudenken.

Nebenbei nur: Die Landeskorrespondenz lädt die Salzburger Bevölkerung ein, auch Privathäuser „von 7 Uhr bis zum Einbruch der Dunkelheit zu beflaggen“. Ob mit Bundesadler oder ohne, scheint egal, Hauptsache Tageslicht. Vielleicht will man so des Adlers Flucht mitsamt Sichel und Hammer entgegen wirken. Oder Tageslicht, damit nur ja kein Schatten auf unseren Staat und seine Flagge fällt?

Bilder: dpk-Helena Thurner (2); dpk-klaba (1); Landesmedienzentrum/pixapay