Schäferstündchen mit Cardea

FEUILLETON / JAHRESWECHSEL

02/01/18 Die Protagonisten dieser Jahreswechsel-Geschichte: Janus, doppelgesichtiger Gott und daher fähig, gleichzeitig vorwärts und zurück zu blicken. Weiters die Nymphe Cardea, die mehr kokett als nymphomanisch veranlagt war. Und schließlich Ovid, der an Jahren älteste und an Nachhaltigkeit wichtigste literarische Jahresregent.

Von Reinhard Kriechbaum

Ovid ist als Verbannter gestorben, vor 2000 Jahren in Tomi (heute Constanța in Rumänien) am Schwarzen Meer. In seinen „Fasti“, einem Sagenzyklus über die römischen Feiertage und ihre göttlichen Protagonisten, entwirft er ein nettes Sittenbild: Cardea war eine an den Tiber-Gestaden umgehende Nymphe. Sie machte sich einen Jux daraus, mit Männern zu schäkern und ihre Liebhaber voraus zu schicken an ein lauschiges Plätzchen für ein Stelldichein. Allein, aus den Schäferstündchen ward dann nichts, weil sich die Nymphe klammheimlich davon zu machen pflegte, bevor es ernst wurde. Aber beim Gott Janus geriet sie an den Falschen: Mit seinen zwei Gesichtern behielt er beide Ziele fest im Blick, die Liebeshöhle und die kecke Cardea. Da war die Hübsche also die längste Zeit Fräulein gewesen.

Janus, im römischen Götterparnass zuständig für Anfang und Ende, für Ein- und Ausgänge, war absolut kein undankbarer Liebhaber. Als Entschädigung für die Jungfräulichkeit machte er die Nymphe zu so etwas wie einer Abteilungsleiterin in seinem Zuständigkeitsbereich: Sie wurde die Herrin über Schwellen, Türscharniere und Türgriffe.

Janus ist begnadet mit dem Vor- und Rückblick. Seine Zuständigkeit für Zeitenwenden drängte sich auf, unser Januar hat den Namen davon. Von den Haustüren (ianuae) und Duchgängen (iani) leitet sich der den Römern unmissverständliche Name des doppelgesichtigen  Jahreswechsel-Gottes ab. Auch die Nymphe Cardea trägt die Aufgabe im Namen, „cardo“ heißt Scharnier, Türangel. Übrigens kommt von diesem Wort und dem davon abgeleiteten „cardinalis“ (wichtig, vorzüglich) auch der Titel „Kardinal“ für die Mächtigen unter den Bischöfen. Wenn diese nicht wollen, geht bei Mutter Kirche nach wie vor keine Tür auf – der reform-affine Papst Franziskus kann davon gerade ein Lied singen.

Aber wir reden hier von Publius Ovidus Naso. Ob der am 20. März 43 v. Chr. in einem Dorf in den Abruzzen Geborene heuer Jahresregent ist oder eben dies schon im Vorjahr war, muss etwas vage bleiben. In seinen Klage-Elegien, die er aus der Verbannung schrieb, datieren die letzten konkreten Hinweise auf aktuelle Vorkommnisse aus dem Jahr 17 n. Chr. – irgendwann um die Jahreswende 17/18 muss er also das Zeitliche gesegnet haben.

Ich, der ich hier liege, Naso, der Dichter, Spieler zärtlicher Liebesgeschichten, bin an meinem eigenen Talent zugrunde gegangen.“ Diese Inschrift hätte er gerne auf seinem Grabstein gelesen. Ob sie wirklich so gemeißelt wurde, wissen wir leider auch nicht. Aber Ovids zärtliche Liebesgeschichten und Heiratssachen haben bis in die Gegenwart überdauert und sie inspirieren Dichter-Kolleginnen und Kollegen nach wie vor. Noch vor der Zeitenwende sind die „Amores“ entstanden. Da schmachtet der Liebende nicht mehr nach seiner Gefährtin (wie es bis dahin üblich war in der Literatur), sondern die Liebe selbst wird als amüsantes und frivoles Spiel beschrieben.

In den Jahren um die Zeitenwende hat Ovid die „Ars amatoria“ verfasst, eine mit viel Ironie durchsetzte Anleitung zum Erfolg in Seelenangelegenheiten. Wie die Kriegskunst müsse man auch die Liebe quasi als Handwerk erlernen und beherrschen, heißt es da sinngemäß. Der sittenstrenge Kaiser Augustus soll nicht so viel Freude gehabt haben mit Ovids Freizügigkeiten, aber das allein war gewiss nicht der Grund, dass der Dichter – der erste „hauptberuflich“ tätige seiner Zunft – im Jahr 8 n. Chr. ins Exil musste. Den wahren Anlass plaudert Ovid auch in seiner Autobiographie (die mehr gedichtete PR in eigener Sache als Wahrheit enthält) nicht aus. Es war jedenfalls Schluss mit Amores, „Tristia“ heißen die Klagegesänge des Verbannten. Für den erfolgreichen Yuppie-Dichter war die Schwarzmeerküste der Arsch der Welt, aber als Poet hat er das eleganter formuliert.

Ist die „Ars amatoria“ quasi die Urmutter der Ratgeber-Bücher, so enthalten die „Remedia amoris“ (Heilmittel gegen die Liebe) die Rezepte gegen den Liebeskummer. Die „Fasti“, denen wir die Story von Janus und Cardea entnommen haben, sind leider nur Fragment. Es geht dort um die römischen Gottheiten, ihre amourösen und sonstigen Umtriebigkeiten und um die ihnen zu Ehren gefeierten Feste.

Ovids Hauptwerk schlechthin sind die „Metamorphosen“: fünfzehn Bücher aus den Jahren 1 bis 8 n. Chr., 250 Verwandlungsgeschichten aus der antiken, vor allem der griechischen Mythologie. „Aurea prima sata est...“ – welcher Gymnasiast hat nicht die einleitenden Verse auswendig lernen müssen und an ihnen das Wesen des Hexameters erklärt bekommen? Die fliegenden Ehrgeizlinge Dädalus und Ikarus, das in sich ruhende Rentner-Ehepaar Philemon und Baucis, die in ihre Kunst verliebten Orpheus oder Pygmalion, die einander knapp verfehlenden Liebenden Pyramus und Thisbe – Urmodelle (zwischen)menschlicher Befindlichkeit und archetypischen Handelns. Kein Wunder, dass diese Geschichten von der Spätantike bis zu Hollywood ihre Exegeten und Weiter-Dichter gefunden haben.

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