Krieg, Pogrom und ein Schneesturm
FESTSPIELE 2025 / SCHAUSPIEL
04/12/24 Fast ist es ja ein Kuriosum: Die letzte Lesung im Festspielsommer 2025 gilt Marina Davydovas Stück Land of No Return. Es wurde unlängst beim Festival Voices Performing Arts in Berlin in russischer Sprache erst-gelesen. Aus ihrem Engagement für das Exilautoren-Festival hat man der Schauspielchefin den Strick gedreht.
Von Reinhard Kriechbaum
Das Schauspielprogramm des kommenden Sommers trägt freilich ganz die Handschrift der 2022 aus Russland emigrierten Marina Davydova. Ihr geschärfter Blick speziell in die russische Theaterlandschaft ist ihr Alleinstellungsmerkmal und wird sich in zwei szenischen Produktionen niederschlagen. Der Schneesturm ist ein Roman von Vladimir Sorokin, der als einer der bedeutendsten zeitgenössischen russischen Prosaautoren und schärfsten Kritiker des russischen Staates gilt. „Meine Erzählung hat in Wahrheit drei Protagonisten: den Arzt, seinen Kutscher und den Schneesturm. Am Ende siegt der dritte“, erläutert Vladimir Sorokin das Figurenpersonal seiner fantastischen Irrfahrt durch das ländliche Russland einer nahen Zukunft.
Kirill Serebrennikov gibt mit dieser Dramatisierung sein Salzburger Regie-Debüt. Der ehemalige Künstlerische Leiter des Gogol-Zentrums in Moskau lebt – nach jahrelangem Hausarrest – seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs in Deutschland. In dieser Produktion auf der Pernerinsel, einer Koproduktion mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus, setzt Serebrennikov seine Zusammenarbeit mit dem Schauspieler August Diehl fort, der in seinem Film Disappearance (2024) den KZ-Arzt Josef Mengele spielt.
Zwei Stücke und drei Erzählungen des Russen Léonid Andrejew hat der französische Regisseur Julien Gosselin fürs Pariser Odéon-Théâtre de l’Europe unter dem Titel Le Passé zusammengeführt. In der bildgewaltigen Kombination von opulentem Dekor eines bürgerlichen Salons, winterlichen Gärten, gemalten Landschaften entwirft er mit seinen Schauspielern und Musikern eine Hommage an eine untergegangene Kunst und Menschheit. „Andrejew ist anders als andere Autoren seiner Zeit“, sagt der Regisseur über den Dichter. „In seinem Werk findet man in allen Szenen, Dialogen und Sätzen Wörter, die einen völlig in ihren Bann schlagen – so als könnte man mit wenigen Worten an das eigentliche Herz des Schmerzes und der Schönheit der Welt rühren.“ Die 2020 entstandene Produktion wird vier Mal im Landestheater gezeigt.
Zwei Lesungen erweitern die szenischen Ost-Perspektiven. Dörte Lyssewski liest Lyrik der ukrainischen Dichterin, Essayistin, Übersetzerin und Literaturwissenschafterin Marianna Kijanowska. In ihrem Gedichtband Babyn Jar. Stimmen, der mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet wurde, erzählt sie vom größten Massaker des Holocaust, der Ermordung fast der gesamten jüdischen Bevölkerung Kyjiws im September 1941. Kijanowskas hat eigene Kriegserfahrungen, sie war 2016 an der Front in der Ostukraine.
Schließlich Marina Davydovas Land of No Return unter Mitwirkung von Regine Zimmermann, Dominik Dos-Reis, Katja Kolm, Christoph Luser und anderen als Erstlesung in deutscher Sprache. Davidova bezieht sich auf Pogrome an Armeniern in Baku 1990. Die Handlung des Stücks erstreckt sich über vier Jahrzehnte und führt von Aserbaidschan über Moskau nach Deutschland in die Jetztzeit. Das Stück wurde in drei Sprachen übersetzt und vom Residenztheater München in Auftrag gegeben, das die Rechte an der ersten Inszenierung hält.
Zurück auf die Bühne: Jene auf der Pernerinsel ist für Karl Kraus' Die letzten Tage der Menschheit, seine Abrechnung mit den Schrecken des Ersten Weltkriegs, wahrscheinlich gerade nicht zu klein. Zwischen 1915 und 1922 verfasste Kraus mehr als zweihundert Szenen über die Abgründe des Krieges in all ihrer grotesken und gleichermaßen unerträglichen Absurdität. Er fordert uns auf, über die Mechanismen von Gewalt, Macht und Propaganda nachzudenken, die auch unsere Zeit bedrohen. Dušan David Pařízek verantwortet Regie und Bühne, Peter Fasching die musikalische Gestaltung. Es spielen u.a. Dörte Lyssewski, Michael Maertens, Elisa Plüss und Marie-Luise Stockinger. Es ist eine Koproduktion der Festspiele mit dem Burgtheater.
Über den Jedermann ist nicht viel zu sagen, die vorigjährige Inszenierung von Robert Carsen wird wiederaufgenommen, mit Philipp Hochmair als Jedermann, Christoph Luser als Guter Gesell und Teufel (wofür er 2024 mit einem Nestroy ausgezeichnet wurde) und Deleila Piasko als Buhlschaft.
Auch Ballett gibt es wieder. Lucinda Childs zählt zu den bedeutendsten Choreografinnen der Gegenwart. Sie war Mitglied der legendären Judson Dance Theater-Bewegung, die im New York der 1960er Jahre den Tanz revolutionierte, und prägte mit ihren Arbeiten die Tanzgeschichte seit den 1970er Jahren wesentlich. Mit Four New Works präsentiert sie in der Szene an vier Abenden eben ihre jüngsten Arbeiten, aber auch ein Solo aus dem Jahr 1965, in dem die Ikone des Tanzes selbst zu erleben sein wird.
Zwei Streichquartette, eines von Schostakowitsch, eines von Mendelssohn, werden eine Lesung mit Angela Winkler umrahmen. Es geht um Monologe aus gleich sieben Stücken von Shakespeare.
Stichtag für alle Kaufkartenbestellungen ist der 21. Januar 2025. Direktbuchungen über die Website sind ab 21. März 2025 möglich – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder. Crystal Turandot Theatre Awards (1) - Salzburger Festspiele / Neumayr/Leo (1); Lukáš Horký (1); Jim Rakete (1) - dpk-krie (1)