Einmal Sternstunde mit alles

HINTERGRUND / STERNSTUNDEN DER MENSCHHEIT

25/07/24 Eigentlich sind es ja – fast – lauter Katastrophen, die unter dem so positiv besetzten Begriff „Sternstunden“ erschienen sind. Ein zögernder General bringt Napoleon den Untergang – und wer weiß wie Europa sonst heute aussehen würde. Byzanz wird grausam erobert und zerstört. Heldenhafte Forscher sterben heldenhaft im Ewigen Eis. Einzig Goethe und Händel kriegen auf absteigendem Ast wieder die Kurve hinauf zu den Sternen.

Von Heidemarie Klabacher

Stefan Zweigs Sternstunden der Menschheit kommten in einer „Fassung“ von Regisseur Thom Luz mit Musik von Matthias Weibel bei den Festspielen im Landestheater auf die Bühne. Die Theaterästhetik von Thom Luz komme der ihren sehr nahe, sagt Schauspielchefin Marina Davydova. „Seine Arbeiten erinnern mich an abstrakte Gemälde.“

Spannend, wie mit „Abstraktion“ den ganz konkreten historischen Situationen und der sehr charakteristischen, aber grad in den Sternstunden doch oft sehr pathetischen Sprache Stefan Zweigs begegnet werden wird. Sie habe Stefan Zweig schon Sojwet-Zeiten kennengelernt, „wo er im Gegensatz zu vielen anderen westlichen Autoren“ anerkannt war, erzählt die Schauspielchefin. Zweigs Werk sei sehr beliebt gewesen, „vielleicht auch, weil das Thema Emigration darin eine große Rolle spielt“.

Regisseur Thom Luz über die Sternstunden: „Es sind 14 Miniaturen historischer Begebenheiten, die Zweig ausgesucht hat, weil sich darin in einem kurzen Moment die Welt schlagartig verändert. Zweig wählt dafür etwa die Niederlage von Waterloo, die Verlegung des ersten Tiefseekabels zwischen Europa und den USA, aber auch den Schreibtisch von Goethe – Momente oder Objekte, durch die etwas geschehen ist, das unsere Welt – sei es politisch oder poetisch – nachhaltig prägt. Auch wir leben in einer Zeit, die unsere Welt wahrscheinlich für viele Jahre nachhaltig prägen wird.“

Stefan Zweig stehe für den melancholischen, nostalgischen, nachdenklichen Menschen, „der die Welt immer ein bisschen betrachtet, als sei er ein Gast in ihr“, stehe für eine „Welt, die es nicht mehr gibt“. Spannend sei der Gegensatz zwischen Zweigs „distanzierten Blick auf die Welt und der großen Nähe, die in den Themen der Sternstunden zu unserer Gegenwart besteht“. Für den Regisseur Thom Luz spiegelt sich darin „Zweigs eigene Geschichte wider, die Geschichte seiner Vertreibung aus Salzburg, seine heimatlose Reise durch die ganze Welt bis hin zum Freitod als Flüchtling in Brasilien“.

Zweig betrachte die Menschheit als Ganzes, aus der Sicht der Humanität, so die Dramaturgin Katrin Michaels. Stefan Zweig begegne seinen porträtierten Figuren mit großer Empathie: „Er tritt auf als faktischer Geschichtsschreiber und er fühlt sich in die Figuren ein und steigt in deren tiefste Seelenverästelungen hinab.“ Seine Texte seien dadurch „eine Schule der großen Grundsätze für die gesamte Menschheit und auch der tiefgründigen Empathie gegenüber jedem Einzelnen“. Die Herausforderung habe darin bestanden, so Regisseur Luz, „einen Raum zu schaffen, in dem die von Haus aus undramatischen Texte für die Bühne umgesetzt werden konnten“.

Es sei ihm wichtig gewesen, Zweigs Texte so zu belassen, dass sie die ihnen innewohnende Musikalität behielten und diese im Bühnenerlebnis zum Tragen käme. Die Texte würden daher mehr durch Objekte als durch schauspielende Menschen erzählt. „Alle Elemente, die in den Sternstunden vorkommen, werden in diesem Raum eingelagert – alles, was in der Geschichte einmal wichtig war. Dorthin kommen Menschen, die sich damit auseinanderzusetzen haben, was sie mit diesen Objekten anfangen und sich die Fragen stellen: Verneinen wir diese Vergangenheit, integrieren wir sie in unser heutiges Leben, oder bauen wir uns daraus neue Luftschlösser?“

Matthias Weibel, verantwortlich für Komposition und musikalische Leitung, habe die Musik zum Stück als eine Hommage an Stefan Zweig kreiert. „Das ganze Stück ist musikalisch gedacht, es ist eine Art symphonische Partitur“. Das Münchner Ensemble „Heimatlosenorchester Rio-Addio“ verkörpere das den Menschen bestimmende Schicksal. „Es umkreist gewissermaßen das ganze Weltgeschehen auf der Bühne wie ein Mond, der die Befindlichkeiten auf der Erde mitbestimmt. Es sei eine „Musik, die im 19. Jahrhundert aus der Vermischung von europäischer Salonmusik mit afrikanischen Elementen entstanden ist und sich bis heute als eine Art kammermusikalischer brasilianischer Jazz gehalten hat“, so der Komponist. „Die stilistisch vorherrschende brasilianische Volksmusik verkörpert eine Art Todesahnung – das war vielleicht auch die letzte Musik, die Zweig gehört hat“, bestätigt der Regisseur. „Die musikalisch ergänzende Brücke von Österreich nach Brasilien wird durch Musik von Mozart und Michael Haydn geschlagen.“

Bilder: SFS / Leo Neumayr (2); Sandra Then
Sternstunden der Menschheit – Premiere ist am Samstag (27.7.) im Landestheater – www.salzburgerfestspiele.at