Wer von uns allen ist denn das Ich?

MdM MÖNCHSBERG / DIETER ROTH

07/03/12 In die „Schokoladebüsten“ hat man nicht hineinbeißen dürfen, schon in den späten sechziger Jahren nicht, als sie entstanden. Zuvor hat Dieter Roth (1930-1998) sich selbst noch vergleichsweise unverfänglich ins Selbstbild gerückt, nämlich in Zeichnungen.

Dieter Roth hatte viel zu fragen nach „Ich“, denn er war einer der großen Universalkünstler des 20. Jahrhunderts. Kein Wunder, dass es von diesem auf so vielen Gebieten umtriebigen Menschen viele, viele Selbstbildnisse gibt. „Selbste“ heißt die Schau im MdM Mönchsberg.

Dieter Roth war Grafiker, er hat Möbel entworfen, gemalt, gezeichnet, Plastiken und raumgreifende Installationen gemacht, mit allen möglichen Materialien gearbeitet, er war Dichter und Musiker, hat Künstlerbücher herausgegeben, gefilmt, fotografiert und gesammelt.

Ein zentrales Thema in seinem Schaffen ist das Selbstbildnis. In mannigfacher Weise und in allen Medien umkreiste er sein Selbst. Zuweilen ironisch, oft auch sehr unerbittlich befragte Dieter Roth mit bildnerischen Mitteln, aber auch in Tagebüchern und autobiografischen Texten sich und sein Tun, seine künstlerische Arbeit ebenso wie die alltäglichen Verrichtungen. Die Ausstellung im MdM Mönchsberg, die im Vorjahr schon im Kunsthaus Aargau (Schweiz) zu sehen war, versammelt Selbstbildnisse aus allen Schaffenszeiten und in allen Medien, derer sich Roth bediente.

Die Ausstellung setzt mit frühen zeichnerischen Selbstbildnissen ein, die der junge Künstler in seiner Ausbildungszeit geschaffen hat. Die Schokoladebüsten sind natürlich markante Objekte. Roths Beschäftigung mit dem Eigen-Bild fand in den Folgejahren ihre Fortsetzung in der umfangreichen Werkgruppe "Selbstbildnis als…". Nein, nicht als Essiggurkerl, das ist erst Erwin Wurm eingefallen. Aber auch Dieter Roth war erfindungsreich und radikal, wenn er sich selbst in eine schier unendliche Reihe verschiedener "Selbste" aufsplitterte und und damit die Heroisierung des Individuums radikal in Frage stellt.

Witzig das „Selbstbildnis als Schwalbe“, ein in Öl auf Leinwand verewigter Scherenschnitt, eine doppelte Silhouette, die scheinbar schwerelos im Raum schwebt. Gemeinsam mit Arnulf Rainer entstand die Mischtechnik „zu zweit“, Foto, Malerei und Zeichnung fließen ineinander. Überhaupt bestanden rege Kontakte zum Wiener Aktionismus, speziell zu Arnulf Rainer – diesem Aspekt ist ein eigenes Ausstellungskapitel gewidmet.

Mit zunehmendem Interesse Dieter Roths, die Lebensereignisse in künstlerischer Form festzuhalten, bekommen die Tagebücher im Spätwerk große Bedeutung. Die anregende Schau mündet schließlich im Panoptikum der 128-teiligen Videoinstallation "Solo Szenen" von 1997-98, in der die autobiografischen Beobachtungen und Reflexionen in einer rückhaltlosen Darstellung der eigenen Person und des eigenen Lebens kulminieren.

Die Unerbittlichkeit, mit der Dieter Roth die eigene Person ins Zentrum seines Werkes stellte und sie gleichzeitig mit allen Mitteln dekonstruierte, sei einzigartig in der Geschichte dieses Genres, sagen die Kuratoren der Ausstellung. (MdM/dpk-krie)

Die Ausstellung „Dieter Roth – Selbste“ ist bis 24. Juni  im Museum der Moderne Mönchsberg zu sehen -
Bilder: MdM