Selfie, ergo sum!
DOMQUARTIER / RESIDENZGALERIE
05/06/25 Am Ende der Porträtausstellung Face to Face in der Residenzgalerie stehen die „Mondänen Damen“. Zum Beispiel das Bildnis der Baronesse Kitty Rothschild, geschätzt lebensgroß plus zehn Prozent, mit Vorzeige-Rassehund. Sie schaut so drein, dass man dieses Bild auch als Allegorie der Hoffart verkaufen könnte.
Von Reinhard Kriechbaum
Keine Rede davon, dass die reiche Dame im Jahr 1916, als John Quincy Adams das Riesenbild malte, schon hat wissen müssen, dass es auch mit dem Geldadel langsam, aber sicher bergab geht. So eindrucksvoll dieses Gemälde ist, der Schreiber dieser Zeilen hat sich von einem kleineren Format im selben Raum deutlich mehr angezogen gefühlt. Ida Jäger, verh. Fürstin Sulkowsky, von Josef Matthias Aigner (1875). Da hat sich ein Wiener Wäschermädel wohl einen noblen Herrn geangelt und ist weit hinauf geklettert in der gesellschaftlichen Hierarchie. Der Maler hat die Diskrepanz zwischen den reizend-naiven Gesichtszügen und dem noblen Outfit, das diesem batschierlichen Persönchen übergestülpt wurde, so deutlich wie nur herausgebracht.
Kleider machen eben doch nicht immer Leute. Aber natürlich ist, will man sich so recht in Szene setzen, die Kleidung mindestens so wichtig wie die Pose. So war es nicht nur im 19. Jahrhundert, um das es in dieser Schau geht. Es ist eine spannende Epoche, an deren Beginn das Porträt der „Herrschaft“ steht, die aber bald vom Adel auf das in Selbstbewusstsein und Geldpotenz rapide erstarkende Bürgertum übergegangen ist. Ignaz Theodor Pirchner hat sich, als er Modell saß für ein Porträt, zwar noch eine Perücke übergestülpt und durchaus feudal gekleidet – aber er zeigt auf die Fabriksgebäude im Hintergrund, sein Imperium. Klein-Neusiedel war vielleicht nicht der gediegenste Standort, aber immerhin wurden hier die Banknoten der Monarchie gedruckt. Der Mann hatte schon Grund, Stolz zur Schau zu stellen.
Es geht in der Schau Face to Face um das Jahrundert zwischen 1800 und 1900, mit leichten Erweiterungen in beide Richtungen. Die „Demokratisierung“ der Porträtmalerei war angesagt, bis zur ultimativen Öffnung, als das Selbst-Bild schließlich mit dem Aufkommen der Fotostudios ab Jahrhundertmitte tatsächlich für viele Menschen erschwinglich wurde.
Ein hübsches Streiflicht: Ludwig Angerer, „k.k. Hof-Photograph“ in Wien, legte ein Musterbuch auf. Da konnte sich seine Kundschaft aussuchen, in welcher Pose, mit welchen Accessoires und vor welchem Hintergrund sie ihr Konterfei haben wollten. So durfte man vielleicht sogar auf demselben Kanapee Platz nehmen, auf dem schon Mitglieder der kaiserlichen Familie gut eine halbe Minute haben stillsitzen müssen (die Belichtungszeiten waren lange).
Ganz so regungslos ging es in den Ateliers der Porträtmaler nicht zu. Nett, wie sich Johann Baptist Reiter selbst ins Bild gebracht hat. Er ist gerade dabei, die Silhouette einer fein aufgebrezelten jungen Dame auf die Leinwand zu bringen und nimmt die zu Porträtierende mit zugekniffenem rechten Auge ganz genau ins Visier.
Gute Porträts zeichnen sich gerade dadurch aus, dass im Betrachter so etwas wie „Kopfkino“ entsteht. Dass man also ins Nachdenken darüber kommt, was für ein Mensch der Dargestellte wohl ist. Sein und Schein dürfen da schon auseinander gehen. Der Junge Mann, den Anton Romako zeigt, wie er sich lässig eine Zigarette anzündet, wollte uns in dieser Haltung wohl eine gewisse Souveränität, ja Lässigkeit spüren lassen. Man könnte ihn aber auch für einen eingebildeten neureichen Schnösel ansehen.
Solchen Geschichten wird in Face to Face durch die Ausstellungspädagogik entscheidend nachgeholfen. Man möchte nämlich besonders junge Erwachsene ansprechen und für die Sache Museum gewinnen. Also gibt es nicht nur einen sehr schönen Katalog, sondern auch gleich zwei graphisch fein gemachte Heftchen (Frauen-/Männerproträts), in denen es heißt: Find mich, ich erzähl dir was! Es gilt also, Raum für Raum ein bestimmtes Bild aufzuspüren (jeweils nur ein winziger Bildausschnitt ist deutlich abgebildet). Mittels QR-Code kann man sich dann die entsprechende autobiographische Geschichte am Handy anhören. Die kann schon recht melodramatisch ausfallen, etwa im Fall von Anton Romako, der sich vor dem Porträt seiner Frau an die Träume der gemeinsamen Jahre in Rom erinnert. Diese waren dann freilich bald passé. Dass er seine künftige Gattin in dem Bild Eitelkeit verewigte, mag uns wie eine Herausforderung des Schicksals erscheinen.
Von demselben Anton Romako ist freilich auch ein pastellig-idyllisches Familienbild zu sehen, seine Frau und die zwei Kinder beim Frühstück. Porträt heißt ja nicht unbedingt ein einziger Kopf. Als „Keimzelle des Staatswesens“ behauptete auch die Familie einen gewissen Porträt-Stellenwert.
Schön, dass man zu jedem Aspekt Beispiele aus verschiedenen Zeiten sehen kann. Einmal um die eigene Achse gedreht, hat man Raum für Raum das 19. Jahrhundert gut im Blick. Das ist höchst anregend.
22 Gemälde kommen aus Eigenbestand, 57 hat man entlehnt (gleich 15 aus dem Belvedere). Für die Residenzgalerie ist diese Ausstellung eine Art Schnittpunkt: Face to Face läuft bis 29. September, und mit dieser großen Sommerausstellung ist vorerst Schluss. Mit Beginn des Umbaues der Residenz sperrt die Residenzgalerie nämlich zu. Ab Jänner 2026 sind auch die Prunkräume geschlossen. Erst im Herbst 2028 wird man diesen Teil des DomQuartiers wieder zu Gesicht bekommen.
Ein schöner Beitrag ganz am Ende des Katalogs, von dem Salzburger Arzt und Psychoanalytiker Bodo Kirchner, trägt den Titel Selfie, ergo sum! Ein starkes Thema eben schon im 19. Jahrhundert...
Face to Face. Österreichische Porträtmalerei des 19. Jahrhunderts. Bis 29. September – www.domquartier.at
Bilder: dpk-krie