Götter in der Bühnenluft

DOMQUARTIER / RESIDENZGALERIE / DER KUSS DER MUSEN

19/02/20 Die halb gerüstete Dame mit sexy entblößter Schulter wird demnächst als Pallas Athene oder Minerva hehre Sätze Richtung Publikum schleudern. Aber noch ist sie In der Theatergarderobe und es wird hinterwärts am Kostüm noch rasch etwas mit Nadel und Zwirn nachgebessert.

Von Reinhard Kriechbaum

Ob Friedrich von Amerling, ein gefragter Porträtist im 19. Jahrhundert in Wien, seinen Zeitgenossen mit diesem Gemälde mitgeteilen wollte, dass es sich durchaus lohnt, links hinter der Bühne zu spechteln? Unbedingt links, denn das war früher die Damenseite. Dort waren die Garderoben für Schauspielerinnen, Sängerinnen und Balletteusen.

Aber wir schweifen ab. Es geht in der neuen Domquartier-Ausstellung in der Residenzgalerie um eine viel höhere und weitere Perspektive. Gegen ein Jubiläum wie „100 Jahre Salzburger Festspiele“ kämpfen ja die Götter selbst vergebens. Also tun auch Ausstellungsgötter in diesem Jahr gut daran, thematische Fäden aufzugreifen. Und es ist, das darf man wohl sagen, die sprichwörtliche „g'mahte Wies'n“, wenn man eine Brücke schlägt von den Göttern und Mythen auf Ölbildern auf die Festspielbühnen, wo die Wesen vom Olymp, vom Parnass oder von anderen antiken Mythen-Bergen ja auch nicht gerade selten auftauchen. Komponisten und Librettisten haben sich diesbezüglich ebenso wenig lumpen lassen wie die Maler. Das Bild Parnass von Nicola Bonvicini, eine kleinformatiger Kopie nach Raffaels Fresko in einer der Vatikan-Stanzen, macht das anschaulich. Das sind die Gottheiten von Künstlern umgeben, die für die Vielfalt literarischer und musikalischer Schöpfungen stehen: Homer, Dante, Vergil und so weiter.

Unerschöpfliche Möglichkeiten also für die beiden Ausstellungsmacher in der Residenzgalerie, Astrid Ducke und Thomas Habersatter. 31 Gemälden und einer Grafik aus dem Sammlungsbestand haben die beiden Fotografien, Kostümfigurinen und Bühnenbildentwürfen von 21 Musiktheaterproduktionen, einem Schauspiel und fünf Konzerten der Festspiele gegenübergestellt. Zu den Konzerten gibt’s Hörproben.

Monteverdis 1607 in Mantua uraufgeführter L'Orfeo steht am Beginn der Gattung Oper, und dieses Werk war höchstwahrscheinlich auch die erste Oper, die auf unserer Seite der Alpen aufgeführt wurde – am 14. Februar 1614 im Carabinierisaal der Residenz, eine Etage unterhalb der Residenzgalerie. Mehr Lokalkolorit geht schon nicht.

Orpheus war natürlich nicht nur bei Monteverdi ein Festspiel-Thema. Erst im Vorjahr zeigten die Festspiele Jacques Offenbachs Orphée aux enfers, auch davon gibt es ein Szenenfoto.

Apollo war als Gott des Lichts, der Schönheit sowie der Musik, Dichtung und Weissagung, als Meister des Gesanges und des Saitenspiels der logische Anführer der Musen. Diese haben übrigens keinen Meldezettel auf dem Parnass, laut Hesiod wohnen sie ein Stück weit östlich, am Berg Helikon in Böotien.

Was haben Danae und Midas miteinander zu schaffen, was Midas und Pan, was Ariadne und Bacchus, was Nausikaa und Odysseus und was die Hexe von Endor und der israelitische König Saul? Hätten wir doch im Latein-, Griechisch- und Religionsunterricht besser aufgepasst! Die Infotexte helfen gottlob weiter. Stoffe wie die Metamorphosen des Ovid oder Homers Odyssee waren unerschöpfliche Quellen der Inspiration für Maler wie Theaterautoren und Opernschöpfer in einer Zeit, da altphilologische Bildung noch dazu gehörte, auf Künstler- wie auf Publikumsseite.

Georg Platzers Gemälde Tod der Kleopatra (1791), das man sich aus Privatbesitz ausgeborgt hat für die Ausstellung, erinnert an die Inszenierung von Shakespeares Antonius und Cleopatra, mit der Peter Stein 1994 seine Trilogie der Shakespeareschen (1564–1616) Römerdramen in der Felsenreitschule abgeschlossen hat. Auf dem Festspielfoto sehen wir Edith Clever, die als Cleopatra am Schlangenbiss stirbt. Eine ökologisch saubere Selbstmord-Methode.

Es bleibt in der Ausstellung nicht bei der Antike. Das Porträt Karl V. von Peter Paul Rubens ist eines der Hauptwerke in den Beständen der Residenzgalerie. Ihm, der uns im Bild als Weltherrscher vorgeführt wird, hat Ernst Krenek eine Oper gewidmet. Am Beispiel von Moses und Aaron lässt sich so eine Brücke zwischen dem österreichischen Barockmaler Paul Troger und Arnold Schönberg schlagen und von Bacchus und Ariadne eine Verbindung von dem italienischen Barockmaler Giacomo del Pò zu Richard Strauss.

Rossini hat dem Ritter Tancred (aus dem Erzählungsschatz des Torquato Tasso) eine Oper gewidmet, in Hans Pfitzners Palestrina kommt der später heiliggesprochenen Karl Borromäus vor, dem wir bei Johann Michael Rottmayr in religiöser Extase begegnen. Deutlich geerdeter der Salzburger Erzbischof Wolf Dietrich von Raitenau einmal im Porträt, einmal als Auftraggeber eines Gemäldes: Kaspar Memberger d. Ä. hat in Maria mit Kind der Gottesmutter die Züge der Salome Alt gegeben. Gerhard Wimbergers Fürst von Salzburg Wolf Dietrich war 1987 eine Koproduktion von Salzburger Landestheater und Festspielen. Der Erinnerungswert der Schau für langjährige Festspielbesucher ist hoch.

Der Kuss der Musen – Festspiele göttlicher Inspiration. Bis 10. Jänner 2021 im Domquartier/Residenzgalerie Salzburg – www.domquartier.at
Bilder: Domquartier Salzburg / Gezzi
Das Domquartier im Jahr 2020 Küssende Musen, Musik und Inklusion