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Es ist mein ganzes Leben

MdM RUPERTINUM / CHARLOTTE SALOMON

10/07/15 In Berlin hat ihr kurzes Leben begonnen, geendet hat es in den Gaskammeen von Auschwitz: Ihr Bilderzyklus „Leben? oder Theater?“ war Ausgangspunkt für die Oper von Marc-André Dalbavie, die im vergangenen Festspielsommer in der Felsenreitschule aus der Taufe gehoben worden ist. Nun sind die Bilder im Rupertinum zu sehen.

Die Jugend der Charlotte Salomon war geprägt von den Drangsalierungen durch die Nazis, aber auch von der latent über der Familie schwebenden Depression. Mutter, Großmutter und drei weitere Verwandte haben den Freitod gesucht. Im südfranzösischen Exil hat sie sich quasi malend befreit vom doppelten Alptraum – und ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, da sie sich als Künstlerin quasi am eigenen Schopf aus dem Schlamassel zu ziehen begann, wurde sie endgültig zum Opfer: Sie ist in Auschwitz umgekommen.

Charlotte Salomon (1917-1943) hat also kein Tagebuch hinterlassen wie Anne Frank, sondern ein in hohem Maße eigenwilliges malerisches Werk. Eine eigenwillige Mischung aus Expressionismus und Naivität. Der üppige Bilderzyklus „Leben? oder Theater?“ stellt ein einzigartiges Dokument eines deutsch-jüdischen Lebens im Berlin der 1920er- und 1930er-Jahre dar. Die insgesamt 1.325 Gouachen sind zwischen 1940 und 1942 im französischen Exil entstanden – nicht lange, bevor die 26jährige Künstlerin deportiert und ermordet wurde.

„Das Museum der Moderne Salzburg zeigt mit 278 Blättern eine repräsentative Auswahl aus diesem Werkzyklus, der nicht nur durch seine besondere Geschichte besticht, sondern auch durch die modernen Bildmittel und die leuchtende Farbigkeit der Gouachen“, erklärt Sabine Breitwieser, Direktorin des MdM, die diese Ausstellung initiiert hat.

Die Ausstellung findet wohlweislich im Rupertinum, also mitten im Festspielbezirk – mit einem direkten Bezug auf die Salzburger Festspiele ausgestellt: Bezug also auf die Opernuraufführung 2014, diese markante Aufführung, in der die Figur der Charlotte Salomon eben nicht nur mit einer Sängerin (Marianne Crebassa) besetzt war, sondern auch von einer Schauspielerin (Johanna Wokalek) quasi gedoubelt wurde. Daran erinnern „Fotografien und Kostüme der Oper in einem speziell hierfür eingerichteten Raum. Kuratorin Beatrice von Bormann verweist darauf, dass Carlotte Salomon ihren Zyklus ein „Singespiel“ nannte, und „in diesem Werk tatsächlich auf einmalige Weise Bild, Text und Musik miteinander verwoben“ seien: „Indem wir den Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit bieten, die von Salomon erwähnte Musik zu den jeweiligen Gouachen zu hören – die Spannbreite reicht von Johann Sebastian Bach bis hin zu den Comedian Harmonists –, tragen wir dem in der Ausstellung Rechnung.“

Die zu den Gouachen gehörenden Texte, die Salomon teils auf transparente Blätter schrieb und über die Bilder legte, werden ebenfalls zur Verfügung gestellt. Somit wird dieser Zyklus in der Tat als Gesamtkunstwerk erfahrbar.

In ihrem Lebenswerk „Leben? oder Theater?“ verarbeitete Charlotte Salomon ihre Familiengeschichte und ihre Erfahrungen als jüdisches Mädchen in Berlin. Es besteht aus drei Teilen: einem Vorwort, in dem es um ihre Jugend in Berlin geht, einem Hauptteil, der von ihrer Liebe zum Gesangspädagogen Alfred Wolfsohn erzählt, sowie einem Nachwort, das ihre Exilzeit in Südfrankreich zwischen 1939 und 1942 zusammenfasst. Sind die Szenen am Anfang noch recht detailgenau ausgearbeitet, wird der Malstil zunehmend nervöser, als wusste Salomon, dass ihr nicht viel Zeit bleiben würde. Die Darstellungsweise erinnert teilweise an ein Storyboard für einen Film – mit verschiedenen Szenen in einer Darstellung, Ansichten von oben und plötzlichen Nahaufnahmen.

Charlotte Salomon wuchs in einer liberalen jüdischen Familie in Berlin auf und konnte trotz der Nürnberger Rassengesetze unter Adolf Hitler von 1935 bis 1938 an der Berliner Kunstakademie studieren. Sie brach das Studium ab, als die Akademie ihr wegen ihrer jüdischen Herkunft den Ersten Preis für Malerei verweigerte. 1939 floh sie zu ihren Großeltern nach Südfrankreich, die Deutschland bereits 1933 verlassen hatten. Nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges beging ihre Großmutter Selbstmord. Erst zu diesem Zeitpunkt erfuhr Charlotte, dass auch ihre Mutter sich – entgegen der in der Familie überlieferten Annahme, die Grippe sei die Todesursache gewesen – umgebracht hatte. Ihr Großvater starb im Februar 1943. Charlotte Salomon übergab den in den Jahren zwischen 1940 und 1942 entstandenen Bildzyklus „Leben? oder Theater?“ dem Arzt Dr. Moridis in Nizza mit den Worten „c’est toute ma vie“. Es ist mein ganzes Leben.

Im Juni 1943 heiratete Salomon den österreichischen Emigranten Alexander Nagler. Einige Monate später wurde Charlotte, inzwischen schwanger, mit ihrem Ehemann deportiert und bei der Ankunft in Auschwitz ermordet. Nach dem Krieg gelangte ihr Bilderzyklus in die Hände ihrer Eltern, die den Krieg in den Niederlanden überlebt hatten. Sie stifteten das Werk dem Jüdischen Historischen Museum in Amsterdam, wo es sich bis heute befindet.

Die Ausstellung Charlotte Salomon. Leben? oder Theater? wurde vom Museum der Moderne Salzburg in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Historischen Museum Amsterdam organisiert. (MdM/dpk-krie)

Charlotte Salomon. 11. Juli bis 18. Oktober im MdM Rupertinum – www.museumdermoderne.at
Bilder: MdM Salzburg

 

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