Harnoncourts Partitur zur legendären Aufführung von Monteverdis Poppea 1993 bei den Festspielen. Dazu das Inspizienten-Buch samt Checkliste (Achtung wegen Nägel am Steg rechts. Vier Stühle. Achtung drauf setzen, dass sie nicht ruckeln). Zwei über-lebensgroße Kostüme aus der Produktion... Die Erinnerung an diese Poppea – Sylvia McNair in der Titelrolle, Philip Langridge Nerone, Marjana Lipovšek Ottavia, Jochen Kowalski Ottone – ist nie verblasst. Dass sie mit diesen Artefakten aufgefrischt wird, ist ein Erlebnis.
Natürlich ist in der Ausstellung Nikolaus Harnoncourt in Salzburg im Mozart-Wohnhaus am Makartplatz vor allem „Schriftliches“ zu sehen. Aber mit welchem Inhalt! Der erschütternd höfliche Brief Nikolaus Harnoncourts an die Stiftung vom 29. Jänner 2015. Mozartwochenzeit. Harnconourt selber hat ein Schubert-Konzert dirigiert, für dessen perfekte Organisation er im ersten Satz dankt.
In dieser Mozartwoche war aber auch ein Pferdeballett eingeladen, zur Musik der c-Moll Messe bzw. deren Wiederverwendung in Davide penitente über die Bühne der Felsenreitschule zu galoppieren. Nikolaus Harnoncourt lobt Idee und Ausführende, spricht dann aber von einer „furchtbaren“ Kehrseite: „Eines der tiefsten Werke Mozarts, seine c-Moll-Messe oder Davide penitente – das zur 'Schau' machen, ist unverzeihlich! Irgendwo an einem fremden Ort, in fremder Kultur möglich – aber hier, im Herzen der großen Sache!“ Die zahlreichen späten Ballette Mozarts, schreibt Harnoncourt, „wären perfekt geeignet und werden ohnehin fast nie gespielt, mangels geeignetem Rahmen“. Originalmusik für „Roßballette“ gebe es vom 17. Jahrhundert bis etwa 1800. „Wollen wir unser Publkum wirklich so dekultivieren? Die Begeisterung galt dem unrechten Objekt und die wahren Hörer waren verwirrt und schockiert.“ Die Sache sei ihm am Herzen gelegen, entschuldigt sich der Dirigent beinahe, er habe diese nicht duldend zur Kenntnis nehmen können. Und im handschriftlichen Postskriptum des mit Schreibmaschnine geschriebenen Briefes: „Mozart wäre bestimmt verzweifelt über so ein Unverständnis.“
Wenn Harnoncourt, der alle Facetten und Aspekt der Persönlichkeit Mozarts – also auch die unkonventionellen – gekannt hat wie kein zweiter, so etwas sagt, muss dies auch zehn Jahre später noch zu denken geben.
Heiterer war der Ton im Grazer Stefaniensaal auf einer Probe für die Styriarte 2014: Ein Erlebnis, der Probenfilm aus dem Hause Styriarte zum Konzert Mozart!!! mit den letzten drei Sinfonien. Der junge Harnoncourt in der berühmten Porträt-Serie von Margret Wenzel-Jelinek. Ein Plakat der Salzburger Bachgesellschaft für ein Sonderkonzert am 29. Juni 1981. Albert Hartinger, der verstorbene Gründer und Leiter der Bachgesellschaft hat ja immer gesagt, er sei es gewesen, der Nikolaus Harnoncourt nach Salzburg gebracht habe (aufs konzertpodium wohlgemerkt, an der Universität Mozarteum unterrichtete er da ja schon fast ein jahrzehnt). In diesem Konzert im Großen Saal jedenfalls spielte der Concentus Musicus (wohlgemerkt ohne „Wien“) das vierte Brandenburgische sowie Werke von Purcell, Vivaldi und Händel.
Die Ausstellung im Mozart-Wohnhaus ist eine Kooperation der Stiftung Mozarteum mit dem Nikolaus-Harnoncourt-Zentrum an der Bruckneruniversität Linz. Auf einer der Schautafeln fassen die Ausstellungsmacher die Harnoncourt-Salzburg-Conection zusammen:
Nikolaus Harnoncourt in Salzburg ist sowohl eine lange als auch zwiespältige Geschichte. Nach zwanzig Jahren Aufbauarbeit mit dem von ihm gegründeten Originalklang-Ensemble Concentus Musicus Wien holt ihn Rektor Paul Schilhawsky für eine neu geschaffene Professur für Aufführungspraxis Alter Musik von 1973 bis 1992 an die Hochschule Mozarteum. Die Familie verlegt damit ihren Wohnsitz in den Attergau. 1980 folgt sein Debut bei der Mozartwoche und als Dirigent in Österreich mit dem Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam, der Beginn einer jahrzehntelangen Zusammenarbeit.Erst nach Karajans Ära trat er 1992 mit Beethovens Missa Solemnis bei den Salzburger Festspielen an, im Jahr darauf mit der ersten szenischen Produktion in der Regie von Jürgen Flimm: Monteverdis L’incoronazione di Poppea. Es sollten zahlreiche bahnbrechende Aufführungen folgen. Aus künstlerischen Gründen zog sich Harnoncourt 1995 von den Festspielen zurück und kehrte 2002 wieder. Im Jahr 2000 wurde er Ehrenmitglied der Internationalen Stiftung Mozarteum. Als Artist in Residence im Mozartjahr 2006 hielt er die Festrede, die einen nachhaltigen Blick auf das Andenken an Wolfgang Amadé Mozart werfen sollte. 2008 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Universität Mozarteum verliehen, 2011 die Goldene Mozart-Medaille der Internationalen Stiftung Mozarteum. Sein letztes Konzert fand ebenfalls in Salzburg statt, es war – am 22. Juli 2015 – wieder Beethovens Missa solemnis.
Es folgte, mit Datum 4. Dezember 2015, also zwei Tage vor seinem Geburtstag, Nikolaus Harnoncourts Brief an Matthias Schulz, den damaligen künstlerischen Leiter der Stiftung. „Ich bin schließlich an meine körperlichen Grenzen gestoßen und muß nun, neben allem Anderen, auch die Mitwirkung bei der Mozartwoche 2016 absagen.“ Die Philharmoniker informiere er mit „gleicher Post“, schreibt Harnoncourt im Postskriptum.
Zeitungsausschnitte sind besondere Fundgruben in der Ausstellung. Ein frühes Porträt in einer Reihe bedeutender Personlichkeiten unserer Zeit in der Welt am Sonntag (leider kein Datum in der Ausstellung) von Felix Schmidt (Journalist, Chevalier des Arts et des Lettres, Autor von Musikbüchern, Musikfilme-Macher besonders für Arte, Kulturressortleiter beim Spiegel, Chefredakteur verschiedener Zeitungen und Zeitschriften, Programmdirektor des Südwestfunks, Leiter der Musiksendung Achtung Klassil) beginnt so: „Er ist von uraltem Adel, ein Habsburger-Spross. Aber wenn er den Taktstok zur Hand nimmt, dann wird er zum Revolutionär. Nikolaus Harnoncourt, in Preußen geboren, in Österreich aufgewachsen und in der Schweiz lebend, hat mit alten Instrumenten und wissenschaftlicher Akribie europäische Musikgeschichte gemacht.“