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Durchgeknallter Seelen-Biedermeier

SCHAUSPIELHAUS / IM AUSNAHMEZUSTAND

22/04/10 "Siebzehn Prozent weniger Witze" habe der Mann erzählt gegenüber dem Vormonat, gleich "21 Prozent weniger als im Vergleichsmonat des Vorjahres." Mit so einem Sauertopf gibt es wahrlich nichts zu lachen. „Im Ausnahmezustand“ von Falk Richter als Österreichische Erstaufführung im Schauspielhaus.

Von Reinhard Kriechbaum

"Du fällst zurück, arbeitest nicht mehr mit Freude", weiß die Frau über den Mann, der auf ihre Vorhaltungen hin ein Gesicht macht wie der sprichwörtliche begossene Pudel. Man sitzt im Whirlpool, dem Statussymbol gehobenen bürgerlichen Wohlbefindens. Nur das beiderseitige Befinden ist leider so wohl nicht. Die Tiraden der Frau pendeln zwischen gespieltem Verständnis und herausfordernder Frotzelei, zwischen dumpfer Schwarzmalerei und greller Panikmache. Hat man es doch geschafft in die "Gated Community", in das sorgsam abgeriegelte Dorado des Geschützt-Seins vor den Unbillen einer Welt, in die man - die Frau zumindest - um keinen Preis wieder hinausgestoßen werden wollte.

Genau das aber droht: Der Mann bringt's bei der Arbeit nicht mehr, und auch der Sohn "verhält sich unregelmäßig", wie wir erfahren. "Sie" - die nicht näher beschriebene Obrigkeit, die Aufsicht über dieses imaginäre Paradies des erlesenen Gleich-Seins - sehe es mit Misstrauen, doziert die Frau. Man habe schon gedroht "den Vertrag eine Weile auszusetzen". Und das hieße: "Dann sind wir draußen, bei den Verwirrten, Weggetretenen". Bei denen, die womöglich eines Tages "alle herüberkommen, über die Mauer klettern, herüberschwimmen". Und dann gnade Gott der bevorzugten Kaste in der "Gated Community".

Ist Falk Richter da eine beeindruckende Parabel gelungen über die abhebenden Ängste einer entsolidarisierten Gesellschaft? Oder spielt Falk Richter einfach Taschenspielertricks der Dramaturgie aus, beschreibt er mit theater-handwerklicher Raffinesse, aber absichtsvoll schwammig eine Lebenseinstellung, die zielgenauer zu definieren und zu analysieren er uns vorenthält? Andere Theaterleute scheinen jedenfalls keine rechte Lust empfunden zu haben, das Stück nach der Uraufführung 2007 in Berlin nachzuspielen. Nun wagt man es im Schauspielhaus Salzburg – aber auch nicht ganz so, wie Falk Richter sich die Sache nach eigener Aussage vorgestellt hat. Er sprach in einem Interview eben die (spieß)bürgerliche Ghetto-Situation an, die eigenartig überzogenen Abgrenzungsmechanismen, die ausgeklinkten Ängste.

Im Schauspielhaus haben Regisseurin Eva Hosemann und ihr Ausstatter Stephan Bruckmeier die Handlung aus einem – wir dürfen annehmen: extrem properen – Wohnzimmer in eine Rumpelkammer verlegt, wo nur noch der Whirlpool funktionstüchtig ist. Da sitzt das Ehepaar drin, wie gefangen. Drumherum ein Chaos aus altem Zeug, den Rudimenten wohlbetuchten Heim- und Freizeitlebens. Dank an die Salzburger Abfallbeseitigung als Bühnenbild-Leihgeber. Gibt es die "Gated Community" womöglich gar nicht, und noch viel weniger die Gefahrenzone "draußen"? Der Junge will ja unbedingt weg, und wenn er schließlich rausgeht durch die Tür, dröhnt unmittelbar Verkehrslärm herein. Haben die Eltern, hat vor allem die Frau das Leben auf der Community-Insel bloß zusammenspintisiert? Ist der Mann, mürbe geworden von den irrealen Vorstellungen und Ängsten der Frau, seinerseits in eine tiefe Depression geschlittert?

Diese Lesart trägt jedenfalls zu einer Konkretisierung der Situation bei, nimmt Falk Richters Text aber eben auch den Reiz des Vagen, den Thrill einer unbestimmten Gefährdung. Es wirkt alles deutlich weniger bedrohlich. Womöglich haben wir es bloß mit einem durchgeknallter Seelen-Biedermeier zu tun bei den Protagonisten.

"Im Ausnahmezustand" hält tolle Möglichkeiten für die Darsteller offen. Elke Hartmann ist die Frau, eine Dauer-Quasslerin, die es drauf anlegt, ihrem Mann sein mickriges Leben vor Augen zu führen. Das ist Psychokrieg in allen Ausdrucksfacetten. Er – Volker Wahl – schweigt meist, resignierend oder aus Verlegenheit. Nur einmal dreht er ordentlich auf, und dieser Wutausbruch über die Schein-Zufriedenheit in der "Community" hat sich dann gewaschen.

Auch der Junge – Maximilian Pfnür – kann sich gut profilieren, als ein Spät-Pubertärer wohl, der jetzt wild entschlossen ist, die Fesseln des perfekten Behütet-Seins abzuschütteln. Er wird vermutlich seinen Weg machen. Und die Eltern können weiter baden im unwohligen Ghetto des Whirlpools.

Aufführungen bis 5. Juni. - www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Eva Maria Griese

 

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