Lügen, bis die Wahrheit sonnenklar dasteht

ARGEkultur / OPEN MIND FESTIVAL

06/11/13 „Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein“, schrieb Theodor W. Adorno 1951. Das Zitat liefert das Thema fürs diesjährige „Open Mind Festival“ in der ARGEkultur. Und Picasso, der befand, Kunst sei nicht Wahrheit, sondern „eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt“.

Von Reinhard Kriechbaum

012„Befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein“ spürt man heuer also dem Verhältnis zwischen den beiden Begriffen nach. Das „Open Mind Festival“, das zum fünften Mal stattfindet (von 14. bis 23. November) beginnt immer mit einer Theaterproduktion. Dafür hat man diesmal Ursula Reisenberger und ihre Gruppe „ortszeit“ eingeladen. Die Theatermacherin hat über Jahre in Leogang das kollektive und individuelle Gedächtnis eines Ortes aufgearbeitet, Erinnerung und Umgang mit der Geschichte in theatrale Aktion an historisch „belasteten“ Schauplätzen verwandelt.

011„[archiv]“ wird das neue Stück heißen. Wie immer bei „ortszeit“ eine Gruppenarbeit mit hohem improvisatorischem Potential. Man will auf Bilder, Zeichen und Gesten bauen und wird höchstwahrscheinlich auf Sprache verzichten, aber so genau weiß man jetzt, anderthalb Wochen vor der Premiere, noch nicht um die Form, die sich auch im Lauf der drei Aufführungen ändern kann. „Lüge und Wahrheit sind konstituierende Elemente der Jahre unmittelbar nach dem Krieg“, sagt Ursula Reisenberger. Sie hat ein Faible für die Geschichten hinter der vermeintlich „richtigen“ Erinnerung. „Der historische Moment der Mythenbildung“ sei das damals, nach Kriegsende, gewesen. Was erzählt man, was lässt man weg? Erzählte Wahrheit erweise sich doch nur als Konglomerat von Fragmenten, Bausteinen. „Wahrheit und Lüge sind dabei nichts anderes als zwei unterschiedliche Kombinationsmöglichkeiten.“

Eine weitere Theaterproduktion gibt es heuer: „Der Firmenhymnenhandel“ ist, sehr grob gesagt, politisches Kabarett. Es geht um die vermeintliche Allmacht des Kapitalismus und wie er hinein spielt in die Arbeitswirklichkeit, die immer mehr das Leben durchdringt und bestimmt. Konzerne geben – echt wahr! – Hymnen in Auftrag, die die Identifikation der Belegschaft mit dem Unternehmen stärken sollen: 010„Flugzeuge im Bauch, / im Blut Kerosin. / Kein Sturm hält uns auf, / unsere Air Berlin.“ So etwas verleiht schon Flügel, vor allem den kritischen Theaterleuten um Thomas Ebermann, den Regisseur dieser Kampnagel-Produktion (Hamburg).

Das „Open Mind Festival“ sei die Quintessenz der Arbeit in der ARGEkultur, im Sinn von Produktionshaus und Ort der Vernetzung, erklärt Cornelia Anhaus, die Kuratorin. Diskursive Elemente fehlen nicht im Programm. Das reicht von einem Workshop „Paroli den Parolen“ (in Zusammenarbeit mit dem Friedensbüro) über ein Gespräch mit Univ.-Prof. Albert Lichtblau, einem der Spezialisten für Oral History in Salzburg, bis zu einem Vortrag der „Bavarian Taliban“ (Marcus Hank und Hamon Tanin), die mit Kunst-Interventionen wider den Fanatismus von Heimatbewusstsein ins Feld ziehen.

013Was ist Lüge, was ist wahr? Bei dem Berliner Pop-Sänger Hans Unstern („The Great Hans Unstern Swindle“) kann man das kaum sagen, wie ein Chamäleon ändert er Stile und Selbst-Erscheinungsbild. Von Dada bis Disco reichen die Versatzstücke, aus denen die Musik-Performancegruppe „Königleopold“ ihre Performances zusammensetzt. Das sind also Musikabende, denen man gewiss nicht mit Schubladen-Zuordnungen gerecht wird.

Es gibt auch Poetry-Slam, der sich diesmal unter dem Motto „Dead or Alive?“ an einem imaginären „Club der toten DichterInnen“ misst. "Fraktus - Der Film" erzählt von den beginnen der techno-Szene. Kleiner Schönheitsfehler dabei: Die Gruppe "Fraktus" hat es gar nicht gegeben. Alles Fake, oder doch nicht?

Open Mind Festival „Befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein“. Von 14. bis 23. November in der ARGEkultur – www.argekultur.at/openmindfestival
Bilder: ARGEkultur / Tanja Pippi (1); Nadine Bargad (1); Wolfgang Lienbacher (1); Leon Frisell (1)